Die Idee ist faszinierend: ein Gerät, das die inneren Werte von Stoffen anzeigt, ohne sie dabei zu zerstören. Eine Messung des sogenannten Elastizitätsmoduls kann auf dem Bau feststellen, wie gut eine Betonwand gegossen wurde, oder am Ende langer Fertigungsketten die Qualität des Produkts testen. Diese Erfindung hat Marktpotenzial, fanden die beiden ETH Absolventen Clara Beck und Tom Reuter. Und gründeten in Zürich das Unternehmen TapTools. Eine gute Idee, lautete auch das Urteil des Design-Teams, das für das Forschungsprojekt DesignSeed mit TapTools zusammenarbeitete. DesignSeed brachte sechs Ingenieurteams der ETH Zürich, die ein Unternehmen gründen wollten, mit Designerinnen und Designern des Kompetenzzentrums Design & Management der Hochschule Luzern zusammen. Aber trotz ihrer Begeisterung stellten die Designer viele Fragen: Wie soll das Gerät genutzt werden? Wie liegt es in der Hand, welche Finger bedienen den Knopf, der die Messungen auslöst? Wo wird das Gerät eingesetzt – ist es dort nass oder trocken, kalt oder heiss, sauber, staubig oder matschig? Das habe doch Folgen, sagen die Designer.
Ein Projekt wird geboren
Projektleiterin und Designmanagerin Claudia Acklin rief zusammen mit der Gebert-Rüf-Stiftung das Projekt DesignSeed ins Leben. Ihr Fazit: «Designer können Jungunternehmen durch das berüchtigte Tal des Todes helfen.» In dieser Phase müssen Start-ups schon hohe Produktentwicklungskosten zahlen, haben aber noch keine Einnahmen. Dann würden viele Ingenieurinnen zu sehr an die Technologie ihres Produkts denken. «Sie fragen sich zu selten, auf welche Konkurrenz ihr Produkt trifft, ob es attraktiv gestaltet ist, ob der Kunde es auf Anhieb versteht und mit welchem Logo und welcher Werbung es auf dem Markt auffallen will», sagt Acklin. Die Unterlagen, mit denen sie sich dann vor Investoren, Jurorinnen oder Branchenvertretern präsentieren, überzeugten oft zu wenig. Das konnten auch Clara Beck und Tom Reuter feststellen, als sie mit ihrem Projekt TapTools auf Werbetour gingen. «Die ersten Visualisierungen, die uns das DesignTeam erstellt hat, haben geholfen, in der Industrie ernst genommen zu werden», sagt Tom Reuter. «Damit gelingt es besser, konkrete Diskussionen anzustossen und ein Feedback zu bekommen.»
Das Team mit Claudia Acklin als Projektleiterin und Designmanagerin, Stefan Fraefel als Informations-, Moritz Reich als Produkt- und Andres Wanner als Interaktionsdesigner verhalf dem Unternehmen TapTools zu einem Corporate Design und Kommunikationsmitteln. Und zu einem auf die Baubranche zugeschnittenen Konzept für das Produkt. Das Gerät wandelte sich, wurde im Designprozess immer robuster – sinnvoll, wenn es auf staubigen Baustellen eingesetzt werden soll, wo die Arbeiter beim Testen der Betonqualität oft dreckige Hände haben. Als der Prototyp als 3-D-Druck in den Händen der Ingenieurinnen lag, ein Schriftzug entworfen war, «der solide und fest, aber gleichzeitig mit einem schräg gestellten A auch keck wirkt», wie Claudia Acklin sich ausdrückt, wurde das Unternehmen auch für die beiden Ingenieure immer fassbarer. «Als ich die Logos zum ersten Mal sah, habe ich gesagt: ‹Jetzt wird es ernst. Mann, jetzt sind wir eine Firma! ›», sagt Tom Reuter.
Die Designbrille aufsetzen
Die Designer konnten beweisen, dass es für Ingenieure und Ingenieurinnen mit guten Geschäftsideen überlebenswichtig sein kann, gleich von Anfang an Designerinnen mit einzubeziehen. Nicht, weil das Produkt dann schöner wird, sondern weil die Designer den Jungunternehmern Fragen stellen und sie auf die richtige Spur bringen. «Design ist der Vermittler zwischen der Technologie und dem Nutzer», stellt Ingenieurin Clara Beck fest. «Ich hätte am Anfang stundenlang über die dem Gerät zugrundeliegende Technik der Messung des Elastizitätsmoduls reden können, aber nicht darüber, wie und wo das Gerät eingesetzt wird.»
Unterschiedliche Ergebnisse
Dieses Problem hatten mehrere Ingenieure in den sechs Projekten, die die Designer und Designerinnen des Departements Design & Kunst der Hochschule Luzern begleiteten. Das Team von «rqmicro» will mit einem Gerät die Wasserqualität in Schwimmbädern messen – die Designerinnen bauten eine neue Mechanik und verbesserten ganz praktisch die Halterung für die Kartusche. Das Gerät von Sabrina Badir kann am Muttermund einer schwangeren Frau die Gefahr einer Frühgeburt errechnen – Designer gestalteten für ihre Firma «Pregnolia» einen Werbeauftritt, der der hochemotionalen Situation der Frauen gerecht wird. Und das Gründungsteam von «noonee» entwickelte eine anschnallbare Haltestütze, mit der Arbeiter am Laufband ihre Knie entlasten können – Designerinnen halfen ihnen, sich besser auf ihre Zielgruppe einzustimmen und eine entsprechende Gebrauchsanweisung zu erstellen. Aber hier stiessen die Designer auch an Grenzen: So trafen sie das Team von «noonee» zu einem Zeitpunkt, als es stark unter Druck stand und sich nicht immer auf ihre Anregungen einlassen konnte.
In der Broschüre «DesignSeed. Wie Gestalter und Ingenieure erfolgreich in Hightech-Start-ups zusammenarbeiten» verschweigen Claudia Acklin und Andres Wanner nicht die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit von Designern und Ingenieurinnen. Sie betonen die Notwendigkeit, von Beginn an intensiv zu kommunizieren und sich auch in der Verschiedenheit zu akzeptieren. Abschliessend erstellen sie eine Empfehlungsliste mit den «dos and don’ts» der Zusammenarbeit. Punkt eins ist für Designer und Ingenieure gleich: «Stellt euer Ego zurück!»
Autorin: Valeria Heintges
Bild: Hochschule Luzern
Die Broschüre zum Download: «DesignSeed. Wie Gestalter und Ingenieure erfolgreich in Hightech-Start-ups zusammenarbeiten»