Architekturstudierende beschäftigen sich in der Regel mit Bauten in Siedlungsgebieten, in vorgegebenen Bauzonen und mit klaren Rahmenbedingungen. Kaum werden sie jemals mit einem freien alpinen Gelände konfrontiert, bei dem es darum geht, zuerst die optimale Lage für ein Gebäude zu finden und dieses anschliessend ohne technisch hochentwickelte Hilfsmittel zu realisieren. So war es für die 28 Studierenden eine Reise weit zurück in die Vergangenheit, als sie als Freiwillige Marion Sauter, Dozentin für Architekturgeschichte, bei ihrer archäologischen Feldforschung unterstützten. Die Urner Denkmal-Inventarisatorin hatte sich vor sieben Jahren ein ambitioniertes Ziel gesteckt, das sie nun mit einer Publikation – vorläufig – abschliesst: die umfassende Inventarisierung von alpinen Wüstungen im Kanton Uri. Wüstungen, das sind Überreste von Schutz- und Alphütten, Ställen und Speichern oder von Menschen genutzten Höhlen. Sie geben Aufschluss über Aufenthaltsorte prähistorischer Jäger, die Bautätigkeit mittelalterlicher Schafhirten und neuzeitlicher Milchviehhalter, über Siedlungsentwicklungen, Wirtschaftsformen, Klima und Vegetation. Um aber archäologische Grabungen durchführen zu können, müssen die Wüstungen erst einmal gefunden werden. «Ohne die freiwillige Mitarbeit meiner Studierenden wäre das unmöglich gewesen, denn für die Suche im weiten Gelände sind viele Arbeitskräfte gefragt, und unser Budget war klein», erzählt Sauter.
Erfolgreicher Testlauf
Aus der archäologischen Fachwelt schlug ihr anfänglich Skepsis entgegen. «Man fragte sich, ob Architekturstudenten überhaupt etwas finden würden. Da stehen manchmal nur noch überwachsene Steine, die man leicht übersieht», erklärt Sauter. Doch die Studierenden konnten ihre Ausbildung gut einsetzen und sind an die Aufgabe mit ganz pragmatischen Fragestellungen herangegangen: Welche Ortslage wäre ideal für eine Alphütte? Wo lässt das Gelände eine Wegführung zu? Wo könnten Schutzhütten benötigt worden sein? Die Skepsis verflog rasch, denn die Studierenden fanden unzählige Ruinen. «Es war ein Testlauf, und er hat wunderbar geklappt», freut sich Marion Sauter. Der ehemalige Student Tobias Künzle erinnert sich: «Für uns künftige Architekten war die Mitarbeit auch deshalb bereichernd, weil wir den alpinen Raum als Siedlungsgebiet kennenlernten. Wir konnten uns mit seinen Strukturen vertraut machen und uns intensiv mit dem Kontext unserer Region, der Urschweiz, auseinandersetzen.»
Autorin: Susanne Gmür
Publikation
Rund 700 Objekte haben Marion Sauter und ihr Projektteam – Architekturstudierende, Wissenschaftler der Universitäten Basel, Zürich und Innsbruck und der Hochschule Luzern sowie Fachleute von kantonalen Archäologiefachstellen – dokumentiert, ein für die Archäologie und Geschichtsforschung ausserordentlicher Erfolg. Besonders vielversprechend erwiesen sich die Funde rund um den Surenenpass, die nun in der reich bebilderten Publikation «Surenenpass. Archäologie und Geschichte in Attinghausen» detailliert vorgestellt werden.