Bei Unternehmen wie Google und Apple bekommen nicht nur Nerds glänzende Augen, sondern auch Betriebswirtschafter – Gewinne in zweistelliger Milliardenhöhe, ein rasantes Umsatzwachstum und Zehntausende von Mitarbeitenden. Was dabei mehr und mehr in Vergessenheit gerät: Die Weltkonzerne waren einst klassische Start-ups, wie sie das Silicon Valley zahlreich hervorbrachte: ein paar junge Leute mit einer zündenden Idee und dem Mut, sie umzusetzen.
Nicht nur Ausnahmeerscheinungen wie Google und Apple, sondern auch kleinere Start-ups sind für eine Wirtschaft wichtig. «Etablierte Unternehmen beschäftigen zwar mehr Mitarbeitende, Start-ups schaffen aber mehr neue Arbeitsplätze – und damit den Wohlstand von morgen», erklärt René Zeier, Dozent und Projektleiter am Departement Wirtschaft der Hochschule Luzern.
Start-ups werden besonders gefördert
Deshalb werden Start-ups in der Schweiz besonders gefördert. Mehr als 150 Organisationen unterstützen sie mit Know-how, Kapital und Dienstleistungen. Darunter finden sich private Initiativen wie die Stiftung Venture Kick und öffentliche Institutionen wie die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) des Bundes.
Manche dieser Angebote unterliegen allerdings gewissen Auflagen. «Um beispielsweise von der KTI gefördert zu werden, braucht es eine besonders innovative, meist technologiegetriebene Geschäftsidee, die nur schwer zu kopieren ist», sagt Patrick Link, Dozent am Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern. Dabei kann es sich um ein Produkt, eine Dienstleistung oder ein neues Geschäftsmodell wie jenes des Fahrtenvermittlers Uber handeln.
Angst vor dem Misserfolg
Über die letzten Jahre nahm in der Schweiz die Zahl der neu gegründeten Start-ups pro Jahr stetig zu. 2013 lag sie bei 12’440 Neugründungen. Trotzdem ist der Anteil der Neugründungen am Gesamtbestand der Unternehmen in der Schweiz eher tief. Liegt er in Europa bei 9,9 Prozent, sind es hier gerade mal 3,6 Prozent.
«Es ist die Angst vor dem Misserfolg, die viele davon abhält, ein eigenes Unternehmen zu gründen», erklärt Patrick Link. Es fehle in der Schweiz an einer positiven Kultur des Scheiterns, wie man sie etwa in den USA finde. «Klappt es dort nicht mit einer Geschäftsidee, ist das kein Beinbruch, sondern eine lehrreiche Erfahrung. Von dieser Haltung sollten wir uns eine Scheibe abschneiden.»
In der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen gibt es in der Schweiz, verglichen mit anderen Ländern, besonders wenig Gründer. Unter den Studierenden der Departemente Wirtschaft sowie Technik & Architektur der Hochschule Luzern liegt der Anteil der Studierenden, die sich eine Unternehmensgründung direkt nach dem Studium vorstellen können, mit einem Wert zwischen drei und vier Prozent immerhin etwas über dem Schweizer Durchschnitt von zwei Prozent. «Zum einen halten lukrative Stellenangebote frischgebackene Absolventen von der Selbstständigkeit ab», erklärt René Zeier. «Zum anderen trauen sie sich die Selbstständigkeit in diesem Alter noch nicht zu. Sie wollen zuerst Erfahrungen sammeln.» Dabei hätten gerade junge Leute, die noch nicht in einem beruflichen Alltag festgefahren seien, viele gute Ideen.
Smart-up schliesst eine Lücke
Um das unternehmerische Potenzial ihrer Studierenden systematisch zu fördern, lancierte die Hochschule Luzern vor zwei Jahren das Programm «Smart-up – Unterstützung für Start-ups», das René Zeier und Patrick Link leiten. «Wir wollen bei unseren Studierenden den Gründergeist wecken und sie ermutigen, Geschäftsideen zu entwickeln und sie auch umzusetzen», erklärt René Zeier. Damit schliesst Smart-up eine Lücke in der hiesigen Start-up-Förderung.
Die meisten Angebote – etwa Businessplan-Wettbewerbe – greifen dort, wo eine Idee bereits geboren und der Wille da ist, sie in ein Unternehmen zu überführen. Smart-up bringt die Studierenden überhaupt erst auf den Geschmack, sich unternehmerisch auszuprobieren. Während ihres Studiums erarbeiten sich die Studierenden der Hochschule Luzern in teils obligatorischen, teils fakultativen Modulen, was es für eine erfolgreiche Unternehmensgründung braucht – etwa zu Themen wie Geschäftsmodell, Innovationsmanagement, Finanzierung, Marketing und Kommunikation oder Management und Leadership.
Feedback von Investoren
Zwei Module wurden im Rahmen von Smart-up eigens neu geschaffen. Das Modul «Ideation» führt die Studierenden durch den Prozess der Problem- und Bedürfnisidentifikation, der Ideenfindung und der Produktentwicklung. «Sie lernen, ihren Alltag bewusst wahrzunehmen, unbefriedigende Sachverhalte zu hinterfragen und Lösungen dafür zu entwickeln», schildert Patrick Link. Im Modul «Business Concept» entwickeln die Studierenden ihre Geschäftsidee weiter und erarbeiten einen Businessplan. Diesen präsentieren sie einer Jury von Investoren, von denen sie ein realistisches Feedback erhalten.
Beide Module sind als Workshops gestaltet und sehr praxisorientiert. Zudem können die Studierenden auch die im Studium vorgesehenen Projektarbeiten und ihre Bachelor-Arbeit nutzen, um ihr Unternehmen voranzutreiben. All diese Leistungen werden angerechnet, sie erhalten dafür ECTS-Punkte.
Neben der Vermittlung von Fachwissen und Methodenkompetenzen ist es René Zeier und Patrick Link ein zentrales Anliegen, den Studierenden Mut zu machen. «Wir versuchen, ihren Fokus auf die Chancen zu lenken, die ein Start-up bietet, und die Risiken etwas zu relativieren», so Link. Das Studium sei ideal, um in einem geschützten Umfeld erste Erfahrungen als Unternehmer zu machen. Auch wenn sich die Studierenden später für eine Anstellung entscheiden würden, kämen ihnen diese zugute: «Auch Arbeitgeber erwarten von ihren Mitarbeitenden unternehmerisches Denken und Handeln», sagt René Zeier.
Feedback ist das A und O
Um die wirtschaftlichen Risiken der Selbstständigkeit minim zu halten, arbeiten Link und Zeier nach der Lean-Start-up-Methode. Die Unternehmensgründung soll dabei möglichst «schlank» erfolgen, also mit möglichst wenig Kapital. «Bevor grosse Investitionen nötig sind, klären die Studierenden grundlegende Fragen wie Machbarkeit, Marktpotenzial usw. anhand einfacher Prototypen in Gesprächen mit Experten, potenziellen Kunden und Investoren», sagt Zeier.
Seine Geschäftsidee nach aussen zu tragen und sich Feedback zu holen, sei dabei das A und O. Übersteht sie diese Phase intensiver Prüfung, verbessern sich auch die Aussichten, Investoren zu finden.
Neben individueller Beratung, etwa zu Fragen der Produktentwicklung, zur Rechtsform, zu Finanzen und Budgetierung oder zu Verkauf und Vertrieb, vermittelt Smart-up Kontakte zu internen und externen Experten und organisiert Workshops und Anlässe, die dem Erfahrungsaustausch und dem Networking mit Investoren dienen.
Von Kontakten profitiert
Seit der Lancierung von Smart-up im Sommer 2013 begleitete Smart-up über 80 Studierende bei der Gründung von rund 30 Unternehmen. Einer davon ist Phil Lojacono, der soeben sein Master-Studium in Finance and Banking abgeschlossen hat. Gemeinsam mit Philip Kornmann und Stijn Pieper führt er die Advanon GmbH. Die drei lernten sich während eines Praktikums bei Google in Dublin kennen. Advanon stellt eine Online-Plattform bereit, auf der Unternehmen ihre offenen Debitorenrechnungen direkt an Investoren verkaufen können. So können sie sofort über das Geld verfügen, statt die Zahlungen ihrer Kunden abzuwarten.
«Weil das Risiko eines Forderungsausfalls beim Unternehmen bleibt, hat der Investor keine Arbeit mit dem Debitorenmanagement. Er bekommt sein Geld mit einem geringen Verlustrisiko und mit Zins zurück», erklärt Lojacono. Eine Beta-Version der Plattform, die in der Schweiz bisher konkurrenzlos ist, ist seit August online. «Jetzt konzentrieren wir uns voll und ganz auf die Vermarktung », so Lojacono. Die Gründer profitierten besonders von den Kontakten, die Smart-up ihnen vermitteln konnte. «Wir konnten uns ein gutes Netzwerk aufbauen. Zudem haben wir bei den Businessplan-Präsentationen vor Investoren sehr viel gelernt», sagt Lojacono.
Unterstützung bei der Vermarktung
Auch Kidesia, eine internetbasierte Administrations-Software für Kinderkrippen, steht vor der Markteinführung. Timon Guggenbühl, der berufsbegleitend Wirtschaftsinformatik studiert, lancierte das Unternehmen mit Daniel Moos und Gowthaam Yogeswaran, die berufsbegleitend Informatik studieren. Die Geschäftsidee entstand, weil Guggenbühls Mutter – selbst Krippenleiterin – ihren Sohn wiederholt um Hilfe bat. «Die Krippenadministration war in mehreren, komplizierten Excel-Dateien angelegt. Da dachte ich mir: ‹Das geht doch auch einfacher›», so Guggenbühl.
Bei der Entwicklung der Plattform legten die Gründer grossen Wert auf eine einfache Bedienung und eine gute Performance. «Sind die Personalien der Kinder einmal in Kidesia erfasst, lassen sich damit schnell und einfach Platzkapazität, Personalbedarf oder Mahlzeiten planen – auch langfristig», erklärt Guggenbühl. Er schätzt es, dass er sich die Angebote von Smart-up individuell zusammenstellen konnte. «Wir hatten sehr genaue Vorstellung von unserem Produkt, deshalb brauchten wir bei der Entwicklung kaum Unterstützung.» Die Studierenden nutzten lediglich Arbeitsplätze, die Smart-up in Luzern und Horw bereitstellt. «Jetzt, wo wir auch zu Verkäufern werden wollen, werden wir etwas mehr Coaching benötigen», sagt Guggenbühl und lacht.
Unternehmen Gurkenwasser steht am Anfang
Im Gegensatz zu Advanon und Kidesia steht Melanie Schmidlin mit ihrem Unternehmen Gurkenwasser noch ganz am Anfang. Sie absolviert teilzeitlich den Master in Business Administration (mit Schwerpunkt in Online Business und Marketing) und will mit ihrem Kommilitonen und Geschäftspartner Marc Delaquis ein Webmagazin zu Sport, Gesundheit und Ernährung lancieren. Dabei profitiert sie von ihrer langjährigen Erfahrung in der Kommunikation von Sportevents.
Trotzdem liess sie sich von Anfang an durch Smart-up begleiten. «Den Traum von der Selbstständigkeit hegte ich schon länger, da waren aber auch Zweifel. Es ist gut, nun jemanden zu haben, der unsere Ideen konstruktiv hinterfragt, uns aber auch moralischen Rückhalt gibt», so Schmidlin. Design und Logo des Magazins sind skizziert, derzeit verfeinern Schmidlin und Delaquis das inhaltliche Konzept. Ihre Stelle als Beraterin in einer Werbeagentur hat Melanie Schmidlin aufgegeben, um sich neben dem Studium vermehrt dem Magazin zu widmen. «Endlich mein eigenes Ding zu machen und eine Vision zu verfolgen, ist grossartig. Es macht Spass!»
Bislang richtete sich Smart-up primär an Studierende der Departemente Wirtschaft und Technik & Architektur. Ab 2016 soll es auf Informatik, Soziale Arbeit sowie Musik und Kunst & Design ausgeweitet werden. René Zeier: «Unternehmergeist findet man nicht nur in der Wirtschaft, sondern überall, wo es Visionen braucht und jemanden, der sie verwirklicht.»
Autorin: Simona Stalder
Bilder: Priska Ketterer, Daniel von Känel
Illustration: Samuel Jordi