Sie gingen 1973 erstmals auf die Strasse, um für fairen Handel zu kämpfen. Was gab den Anstoss dazu?
Ende der 1960er-Jahre setzte sich in der Schweiz vermehrt die Erkenntnis durch, dass unser Wohlstand auf Kosten armer Länder im Süden geht, auf Kosten der Produzenten von Bananen, Zucker, Kakao oder Kaffee. Damals drehte der Berner Filmemacher Peter von Gunten eine Dokumentation über Plantagenarbeiter in Lateinamerika, der auch eine Sequenz über die Bananenproduktion enthielt. Man sah darin sehr deutlich, wie bettelarm diese Menschen waren. Diesen Film zeigten wir an einem der Diskussionsabende für Frauen, die ich damals organisierte. Damit fing alles an.
Was löste der Film bei den Frauen aus?
Wir waren empört über die grosse Ungerechtigkeit. Als die Migros kurz darauf den Kilopreis für Bananen um 15 Rappen senkte und dies als «Geschenk an die Kunden» deklarierte, war klar, dass wir etwas unternehmen wollten. Wir schrieben der Migros, dass sie dieses Geld besser an Entwicklungsprojekte spenden solle, leider ohne Erfolg. So baten wir Verwandte und Bekannte, pro gekauftes Kilo Bananen 15 Rappen an die Migros zu überweisen mit dem Hinweis, das Geld gehöre ihnen nicht. Es machten sehr viele mit. Bald darauf gingen wir mit Leiterwagen voller Bananen und einer «Bananenzeitung» auf die Strasse, um auf die Missstände im Welthandel aufmerksam zu machen. Das Fernsehen machte unsere Aktion noch am selben Abend landesweit bekannt.
Das gesellschaftliche Klima damals war sehr konservativ. So war nur zwei Jahre zuvor das Frauenstimmrecht im Kanton Thurgau abgelehnt worden. Wie kamen Ihre Aktionen an?
Es gab durchaus kritische Reaktionen. Einige meinten, wir verstünden nichts von diesen Dingen und sollten uns lieber um unsere Familien kümmern. Für andere waren wir Kommunisten, die nach Moskau gehörten. Damals gab man uns auch den Namen «Bananenfrauen», über den wir nicht immer glücklich waren. Wir erfuhren aber auch viel Zuspruch. Frauengruppen in der ganzen Schweiz griffen unsere Aktion auf. Da wussten wir: Es muss weitergehen.
War Ihr Kampf auch ein Kampf für die Gleichberechtigung der Frau?
In gewisser Weise schon, wenn auch implizit. Ich habe mich nie als besonders emanzipierte Frau gesehen, wohl aber als unabhängigen Menschen, der Dinge hinterfragt und sich äussert. Bei einem der ersten Diskussionsabende zur Handelsproblematik waren auch Männer eingeladen. Wir merkten schnell, dass sie uns in kürzester Zeit dominieren würden, wenn wir sie einbezögen. Wir aber wollten es auf unsere Weise und deshalb ohne die Männer angehen. Das haben wir nie bereut.
Sie blieben nicht bei symbolischen Aktionen, sondern stiegen in den 1980er- Jahren selbst in den Bananenhandel ein. Wie haben Sie das gemacht?
Ab 1976 reiste ich jedes Jahr nach Lateinamerika. Ich suchte nach Produzenten, die nicht an grosse Händler wie Chiquita lieferten, um mit ihnen Handelsmöglichkeiten zu prüfen. 1979 kamen in Nicaragua die sozialistischen Sandinisten an die Macht. Als die USA 1985 ein Handelsembargo gegen Nicaragua verhängten, suchte die Regierung händeringend nach neuen Absatzmärkten. Mithilfe eines Fruchthändlers in Marseille, der uns beim Transport und bei der Reifung helfen konnte, sowie zahlreichen Drittwelt-, Reform- und Detailhandelsgeschäften brachten wir so 1986 die ersten fair gehandelten Bananen in die Schweiz. Später kamen Bananen aus anderen Ländern dazu. Als in den 1990er-Jahren Max-Havelaar- Bananen aufkamen, zogen wir uns zurück. Wir wollten keine Konkurrenzsituation.
Heute stammt jede zweite in der Schweiz gehandelte Banane aus fairem Handel. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis Ihrer Arbeit?
Ich bin sehr dankbar für das, was wir erreicht haben. Wir hätten uns das nie träumen lassen. Andererseits bin ich mit der heutigen Situation nicht so glücklich. Die Leute kaufen Max- Havelaar-Produkte, ohne sich mit der Problematik dahinter auseinanderzusetzen. Sie werden zu wenig über die Missstände im Welthandel informiert. Auch Max Havelaar tut hier zu wenig. Dabei müssen wir uns immer wieder fragen: Was ist fairer Handel? Wann ist ein Preis gerecht?
Fair Trade ist auch zu einem Geschäft geworden. Damit stehen den sozialen Zielen grosse kommerzielle Interessen gegenüber. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Ich finde das problematisch. Für die Grossverteiler ist es ein Marketingvorteil, fair gehandelte Produkte zu führen. Dabei kann der Konsument nicht mehr nachvollziehen, welcher Anteil des Kaufpreises in wessen Tasche fliesst. Verschiedene universitäre Studien haben jedoch gezeigt, dass der grosse Gewinn aus fairem Handel immer noch in den reichen Ländern bleibt. Und Organisationen wie Max Havelaar werden allein mit den Zertifizierungen reich.
Sie sind 89 Jahre alt, und der faire Handel treibt Sie noch immer um. Was bedeutet Ihnen Ihre Arbeit?
Sie hat mich stets erfüllt und mein Leben reich gemacht. Es gab aber immer wieder Situationen – etwa auf meinen über 20 Reisen nach Lateinamerika –, in denen ich Ängste überwinden und über meinen Schatten springen musste. Ich lernte mich dadurch besser kennen und wuchs an meiner Aufgabe. Zudem ist es eine unschätzbar wertvolle Erfahrung, zu sehen, dass man Dinge verändern kann.
Wie bringt man die Leute dazu, sich für andere Menschen einzusetzen?
Ich glaube, dass es für jede Idee ein Zeitfenster gibt, in der sie auf fruchtbaren Boden trifft. Ist jemand affin für ein bestimmtes Thema und von seinem Wesen her bereit, dafür zu kämpfen, muss man ihm nur die Gelegenheit geben, etwas zu tun.
Können Erziehung und Bildung helfen, eine solche Affinität herzustellen?
Ich denke ja. Ich wuchs in einem Elternhaus auf, das im bürgerlichen Sinne wohltätig war. Meine Mutter hatte viel freie Hand, sich sozial zu engagieren. Und meine Eltern vertraten immer offen ihre Meinung, auch als 1933 in Deutschland der Nationalsozialismus an die Macht kam. Ich war damals acht Jahre alt und verstand nicht alles. Aber ich realisierte, dass etwas Schlimmes passierte, wogegen man antreten musste. Das hat mich geprägt.
Sind die Unterschiede zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern in den letzten Jahren kleiner geworden?
Leider nicht. Heute lebt eine Milliarde Menschen unter dem Existenzminimum. Und schaffen es einige zu bescheidenem Wohlstand, investieren sie das wenige, was sie haben, lieber in Konsumgüter als in die Ausbildung ihrer Kinder. Da liegt noch ein langer Prozess vor uns.
Sie wurden für Ihr Wirken mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Women’s Business Award der Hochschule Luzern. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Dieser Award hat mich besonders berührt, weil er ein Geschenk von Frauen an eine Frau ist, die in ihrem Leben nichts anderes tat, als sich um das zu kümmern, was ihr vor die Füsse fiel. Ich konnte nicht anders. Der Preis ist eine Anerkennung dafür, dass ich hartnäckig und unbeirrt diesen Weg ging. Dafür bin ich dankbar.
Interview: Simona Stalder