Mit Gemeindefusionen verbinden Menschen oftmals eine Anonymisierung des Lebensraums und einen Identitätsverlust. Welchen Beitrag kann Quartier und Stadtteilentwicklung leisten, um diese Ängste abzubauen?
In der Quartierentwicklung arbeiten wir mit integralen Ansätzen. Zum einen werden die verschiedenen Verwaltungsabteilungen vom Bau über Soziales bis zur Sicherheit einbezogen, zum anderen die Politik, die Wirtschaft und die Zivilbevölkerung. Wichtig ist dabei, dass die Bevölkerung unmittelbar in die Entwicklung ihres Umfelds eingebunden wird und die Möglichkeit bekommt, ihr Quartier aktiv mitzugestalten. Solche Prozesse können soziale Netzwerke verbessern und eine Identifikation mit dem Quartier ermöglichen. Von diesen Erfahrungen könnten auch Fusionsprozesse profitieren.
Sie sprechen im Konjunktiv. Wird das heute nicht gemacht?
Bisher leider kaum. Es fehlt teilweise am politischen Willen und an der Erfahrung, wie sich Erkenntnisse aus der Quartier und Stadtteilentwicklung, die sich mit relativ überschaubaren Gebieten befasst, auf komplexere kommunale oder regionale Gebilde übertragen lassen. Die Departemente Wirtschaft und Soziale Arbeit leiten gemeinsam den Master-Studiengang Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung, der sich mit solchen Fragen auseinandersetzt. Zur weiteren Entwicklung von Grundlagen und zur Förderung dieses Know-how-Transfers ist ein Forschungsprojekt in Vorbereitung.
Welche Herausforderungen sind mit solchen Quartierentwicklungsprozessen verbunden?
Oft wird die Erkenntnis unterschätzt, dass diese Prozesse, sollen sie eine nachhaltige Wirkung zeigen, viel Zeit brauchen. Zentral ist auch, dass sie ergebnisoffen ablaufen. Dies erfordert ein klares politisches Commitment, damit die Beteiligung der engagierten Bevölkerung nicht zu einem Alibiprozess wird, bei dem von Anfang an zu vieles vorbestimmt ist. Weiter gilt es, den Prozess möglichst früh, bereits in der Phase der Ideenentwicklung und ersten Planung, anzusetzen und die wichtigen Akteursgruppen einzubinden.
Wie viel Autonomie kann einzelnen Stadtteilen zugestanden werden und in welchen Bereichen?
Dies hängt u.a. von den Traditionen einer Gemeinde ab. Es kann auf jeden Fall sinnvoll sein, bestimmte Aufgaben und Kompetenzen an Quartiere zu delegieren und damit die Gesamtverwaltung zu entlasten, respektive die Entscheidungen auf Quartiersebene und damit näher an der Bevölkerung anzusiedeln. Es könnte sich dabei um Aufgaben handeln, die unmittelbar das Leben im Stadtteil betreffen, z.B. das Vereinswesen oder die Gestaltung und Nutzung öffentlicher Räume. Dabei stellt sich jedoch die Frage, wer diese Entscheidungskompetenzen im Quartier wahrnimmt und ob oder inwieweit diese Personen demokratisch legitimiert sind. Möglich wäre eine Art Quartierrat. Interessant dabei wäre, dass auch Personen, die keinen Schweizer Pass besitzen, sich aktiv im Quartier und in einem solchen Rat beteiligen könnten. Dies würde dann auch wichtigen Grundsätzen der Quartier- und Stadtteilentwicklung, namentlich der Integration und der Beteiligung, entsprechen. Interview: Simona Stalder