Beim Wort «Textilien» denken die meisten an Kleider oder Handtücher. Gewebe kommen jedoch auch in der Industrie und auf dem Bau zum Einsatz. Sie verstärken Skier und Bootsrümpfe, man findet sie in Fahrradreifen und Klebebändern, und sie dienen als Armierung von Wandverputzen oder Teppichrücken. Nun forscht die Hochschule Luzern nach einer weiteren Einsatzmöglichkeit im Bereich der Gebäudedämmung.
«Wir tasten uns im Moment Schritt für Schritt an eine praxistaugliche Lösung heran», sagt Alexandra Saur. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement Technik & Architektur leitet das Forschungsprojekt TexLining. Ziel ist es, ein neues Verfahren für die energetische Sanierung von alten Sporthallen, Industrie- und Gewerbebauten zu entwickeln; es soll sich jedoch auch für andere Gebäudetypen eignen.
Geschickte Kombination
«Die Materialien und die Techniken, die wir verwenden, sind nicht völlig neu», erklärt Alexandra Saur. Innovativ sei vor allem ihre Kombination. «In der Gebäudedämmung hat man Textilien noch nie so eingesetzt. »
In der Experimentierhalle auf dem Hochschulcampus in Horw sowie im TexArch Labor im Neubad Luzern führt das Forschungsteam laufend neue Untersuchungen durch. Anhand einer solchen Versuchsanordnung erläutert Saur das Prinzip von TexLining: «Das Einblasen von Isolationsmaterialien in einen vorgefertigten Hohlraum ist eine bewährte Technik.» Doch statt einer Verschalung aus Holz oder anderen Materialien sei es nun erstmals eine Gewebehülle, die das Füllmaterial aufnehme. «Man kann sich das Konstrukt als überdimensionierten Kissenbezug vorstellen», erklärt Saur. Die «Kissen» – so der Plan – werden künftig direkt am Tragsystem der Gebäude montiert und sorgen so im Winter für den Kälteschutz und mehr Komfort im Innenraum.
Als Füllmaterial der Hülle dient Steinwolle, ein Dämmstoff, der aus geschmolzenen Steinen gewonnen wird und vor über 70 Jahren erfunden wurde. Doch etwas ist neu: Im Forschungsprojekt kommt die Steinwolle als Feingranulat zum Einsatz. «Flumroc, unser Industriepartner, setzt Steinwolle in der Wärmedämmung vorwiegend in Plattenform ein», erklärt Saur. Für das Unternehmen wäre es interessant, die Steinwolle auch als Granulat verwenden zu können. Rein theoretisch liessen sich auch andere Dämmmaterialien in die Gewebehülle einblasen, im Rahmen von TexLining wird jedoch nur die Praxistauglichkeit von Steinwolle untersucht.
Grosses Marktpotenzial
Mitinitiator der Forschungsaktivitäten zum Thema «Textile Architektur» an der Hochschule Luzern war die HP Gasser AG, ein Spezialist für Hallen- und Membranbau. Gasser verfügt über Erfahrung in der Verarbeitung von beschichteten Geweben, die beispielsweise als Dachbedeckung, Sonnensegel oder Fassadenverkleidung zum Einsatz kommen. «Ursprünglich kamen wir mit der Hochschule Luzern in Kontakt, weil wir überlegten, gemeinsam textile Bauten für Katastrophengebiete zu entwickeln», erzählt Andreas Gasser, Mitglied der Geschäftsleitung. Dieses Vorhaben sei schliesslich nicht zustande gekommen. Dafür sei die zündende Idee für die Hallendämmung entstanden.
«Weltweit gibt es unzählige Industriebauten, die schlecht isoliert sind. Eine kostengünstige Nachrüstung solcher Gebäude hätte gute Marktchancen», sagt Gasser. So liessen sich ungeheizte Lager in Produktionsstätten umnutzen, und Sporthallen könnten die Temperaturen besser regulieren und Heizkosten sparen. Die Hochschule Luzern – Technik & Architektur hat 2013 in den Kantonen Zug und Luzern 156 sanierungsbedürftige Industriegebäude und Sporthallen ausfindig gemacht und konnte somit dieses Potenzial bestätigen. Saur: «Insbesondere bei Bauten, die zwischen 1960 und 1990 entstanden sind, ist der Sanierungsbedarf klar ersichtlich.»
Polstermöbel als Inspiration
«Für das Dämmen mit Textilien spricht unter anderem die Leichtigkeit des Materials», sagt Andreas Gasser. Manche Hallen seien über 20 Meter hoch und der Abstand zwischen den Tragbalken betrage bis zu fünf Meter. Für solche Dimensionen gebe es keine passenden Dämmplatten. Textilien könnten jedoch aufgespannt werden.
Ein Kinderspiel ist das allerdings nicht. «Wir versuchen, möglichst dehnungsfreie Gewebe zu verwenden», sagt Tina Moor, Dozentin für Textildesign. Eine gewisse Neigung, sich zu wölben, hätten jedoch auch diese, deshalb bestehe eine der zentralen Herausforderungen in der Fixierung des Füllmaterials. Die an der Forschung beteiligten Ingenieure, Architekten und Textilfachleute erproben vieles: Diverse Gewebequalitäten, unterschiedliche Ausrüstung und Konfektion der Textilien, Imprägnierung der Faserflocken oder den Einsatz von so genannten Tuft-Nadeln, die quer durch die Füllung gesteckt werden – bei Polstermöbeln mit aufgenähten Knöpfen verwendet man ein ähnliches Verfahren.
Ebenso wichtige Kriterien sind die Feuerfestigkeit der Materialien und ihre Rezyklierbarkeit am Ende der Lebensdauer. Alexandra Saur: «Wir arbeiten darauf hin, dass sich Füllung und Hülle bei einem Um- oder Rückbau des Gebäudes sortenrein trennen lassen.»
Ein weiteres Ziel: Das Textilsystem soll optimal an unterschiedliche Konstruktionen angepasst und dank Vorkonfektionierung bei laufendem Betrieb montiert werden können. Das Dämmen mit Textilien bietet auch gestalterisch viel Potenzial, denn im Innenbereich bleiben die Gewebehüllen offen sichtbar. Sie können mit verschiedenen Farben und Mustern bedruckt oder mit Reliefs versehen werden.
Doch dafür ist es noch zu früh. «Im Moment testen wir die Funktionalität der Gewebe und die konstruktive Einbindung des Systems in verschiedene Gebäude», sagt Saur. Ein positiver Nebeneffekt der Textilien zeige sich bereits: Die erprobten Dämmvorrichtungen weisen sehr gute schallabsorbierende Eigenschaften auf.
KTI-Projekt «Stoffwechsel»
TexLining ist Teil des Projekts «Stoffwechsel – ein mehrschichtiges Konstruktionssystem aus Textilien für den Einsatz in Sanierung und Neubau», das von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) des Bundes unterstützt wird. Die weiteren Teilprojekte sind TexCoat und TexPavillon. TexCoat konzentriert sich auf den Einsatz von Textilien im Aussenbereich, TexPavillon auf deren Verwendung für temporäre Bauten. Zum Forschungsteam gehören Fachpersonen aus verschiedenen Fachrichtungen der Hochschule Luzern: die Fachgruppe «Material, Struktur & Energie», das Kompetenzzentrum «Fassaden- und Metallbau» sowie die Kompetenzzentren «Products & Textiles» und «General Management ». Darüber hinaus sind mehrere Unternehmen beteiligt: die Textilfirmen Swisstulle AG und Tissa Glasweberei AG, der Dämmplattenhersteller Flumroc AG und als Hauptumsetzungspartner die HP Gasser AG.
Text: Mirella Wepf
Bilder: Angel Sanchez