«Hier weht noch immer der alte Pioniergeist»
Marc Jansen übernahm 2012 den Zelt- und Outdoor-Spezialisten Spatz. Im Interview erzählt er, was ihn an Zelten fasziniert, wie er Tradition und Innovation unter einen Hut bringt und warum er noch immer auf Baumwolle setzt.
Marc Jansen, Sie sind ein leidenschaftlicher Fallschirmspringer, kündigten schon Jobs, um mehr Zeit für den Sport zu haben, sind mit 43 Jahren auf Weltreise gegangen und haben dann ein Unternehmen gekauft – sind Sie ein Abenteurer?
Keine Ahnung … Ich schau das nicht so an. Ich bin sicher nicht stromlinienförmig unterwegs, aber auch nicht total abgedreht. Ich gehe einfach den Weg, der mir passt, dabei kann mir etwas vordergründig Langweiliges ebenso viel Spass machen wie etwas Abenteuerliches. Was ich sicher nicht suche, ist das Gewöhnliche. Davon gibt's schon genug.
Was hat Sie am Zelt- und Outdoor- Spezialisten Spatz gereizt?
Ich spielte schon länger mit dem Gedanken, mich selbständig zu machen, und als ich über die Anzeige stolperte, dass Spatz zum Verkauf steht, kam ich nicht mehr vom Gedanken los. Das Thema Outdoor hat mich mein ganzes Leben begleitet. Auch wenn das Zelten nicht im Vordergrund stand, war ich immer am liebsten draussen, im Winter mit Skiern und Schneeschuhen, im Sommer zu Fuss. Und logischerweise sind auch Pfadi-Erinnerungen zurückgekommen. Ausschlaggebend war aber die Herausforderung, diese alte, eigentlich bekannte, sehr traditionsbehaftete Marke wieder auf Kurs zu bringen.
Das Unternehmen hat eine spezielle Geschichte: Der Firmengründer vermachte es in den 1980er-Jahren seinen Mitarbeitenden, und diese entschieden 2012, die Firma wieder zu verkaufen. Barg diese Konstellation Konfliktpotenzial?
Die grösste Herausforderung war, die Leute aus ihrer Besitzerschaft zu verabschieden, aber als Mitarbeitende zu behalten, was bei einigen sehr gut funktioniert und neue Energien und Ideen freigesetzt hat. Und selbstverständlich kam ich mit Ideen, die nicht alle teilten.
Wie alle Spatz-Zelte ist auch der «Alligator» hellbraun. Ist die Farbe unantastbar?
Ja. (Lacht.) Ich kann mir sehr schwer vorstellen, auf dieses Hellbraun zu verzichten. Es hat sich so tief eingeprägt und sticht ja auch heraus.
Im Bereich Textil wird viel geforscht, an smarten Technologien, neuen Funktionalitäten – ist das ein Thema für Spatz?
Zurzeit nicht. Aber die Kombination von traditionellen Stoffen wie Baumwolle mit neuen Technologien interessiert uns sehr. Ich könnte mir vorstellen, einen Stoff zu entwickeln, der kühlt oder Strom generieren kann, um kleinere Geräte zu betreiben. Wenn wir so weit sind, komme ich gerne auf die Hochschule Luzern zu.
Warum sind Ihre Zelte eigentlich immer noch aus Baumwolle?
Tradition und Erfahrung sind sicher Gründe, Baumwolle schafft aber vor allem ein sehr angenehmes Raumklima. Ausserdem können wir uns damit abgrenzen. Würden wir ein Kunststoffzelt machen, wären wir nur einer von vielen.
Sie setzen auf den Werkplatz Schweiz – wie schätzen Sie ihn ein?
Relativ schwierig. Da ist die vielzitierte Regulierungswut, die sich für uns aktuell beim Umzug nach Wallisellen bemerkbar macht. Sie macht allen zu schaffen, aber uns Kleinen bestimmt noch ein wenig mehr als den Grossen. Zum anderen haben wir uns mit einem zum Teil künstlich aufgebauten Lohnniveau verschiedene Welten und damit auch Wahrheiten geschaffen.
Das heisst konkret...
Die Schweiz hat sich zu einer extremen Dienstleistungsgesellschaft entwickelt, mit einem grossen Finanzbereich. Das macht es schwierig, junge Leute für einen «einfacheren » Beruf in der Produktion zu begeistern, der nicht gleich viel Prestige und Geld abwirft, dafür aber vielleicht happy macht, weil er mit Leidenschaft und Herzblut ausgeübt wird. Was mir Sorgen macht, ist zudem der Verlust von Knowhow, der mit dieser Entwicklung einhergeht – es wäre schlimm, wenn wir plötzlich gar nicht mehr in der Lage wären, Produkte, die wir täglich oder häufig benötigen, selber herzustellen. Uns fehlt zum Teil das Bewusstsein für den Wert der Produkte – wir sehen vielfach nur den Preis.
Zur Person
Marc Jansen, geboren 1968 in Luzern, startete seine berufliche Laufbahn als Kaufmann bei Mövenpick, arbeitete dann in verschiedenen Firmen und bildete sich in den Bereichen Informatik und Internationaler Handel/Wirtschaft weiter. Bevor er 2011 mit seiner Frau auf Weltreise ging, war er Geschäftsleiter bei einem Fleischimporteur. Seit 2012 ist er Inhaber der Zeltfirma Spatz.
Text: Susanne Gmür
Bild: Jolanda Flubacher Derungs
Wir glauben, dass wir als Kleiner etwas machen können, was den Grossen ebenbürtig ist.
Ein Beispiel?
Viele fanden unseren Standort an der Hedwigstrasse im Zürcher Kreis 7 sensationell. Das vierstöckige Haus ist auch tatsächlich sehr schön, und die Räumlichkeiten haben Charme. Aber für einen Verkaufsladen ist es eine Katastrophe. Er ist im Wohnquartier versteckt, bietet zu wenig Platz für die Zeltausstellung, und es gibt kaum Parkplätze. Noch bevor ich meinen ersten Arbeitstag hatte, wusste ich: Wir müssen hier leider weg.
Hat sich aus der Firmengeschichte heraus eine besondere Kultur gebildet?
Ja, ganz klar. Hier weht immer noch der alte Pioniergeist, den wir wieder stärken wollen. Wir glauben, dass wir als Kleiner etwas machen können, was den Grossen ebenbürtig ist, dass wir sogar eine Spur schneller und innovativer sein können.
Wie hat sich der Markt für Zelte «made in Switzerland» entwickelt?
Traditionell war es so, dass Organisationen wie die Pfadfinder oder die Jungwacht mit hoher Wahrscheinlichkeit Spatz-Zelte hatten. So kamen viele Jugendliche mit der Marke in Kontakt. Je weniger diese Organisationen Zuspruch erhielten, desto weniger wurden unsere Zelte im jungen Kundensegment bekannt. Das müssen wir wieder hinkriegen, ohne die alteingesessenen Kunden vor den Kopf zu stossen.
Wie wollen Sie das bewerkstelligen?
Wir arbeiten an unserem Auftritt, haben den Webshop modernisiert und binden Social Media stark ein. Und natürlich haben wir das Sortiment weiterentwickelt und bieten vermehrt leichtere Zelte an, für diejenigen, die sich viel bewegen wollen, zu Fuss unterwegs sind, also insbesondere die Jungen. Mit dem «Spatz Alligator», das eine moderne Tunnelform hat und nur dreieinhalb Kilo wiegt, haben wir hier auch schon eine erste eigene Innovation entwickelt.
Es hat mit 1’590 Franken einen stolzen Preis…
Das stimmt, aber ein sehr gutes und nachhaltiges Zelt wird immer relativ teuer sein, vor allem, wenn es komplett in der Schweiz hergestellt wird und zehn Jahre Garantie hat. Ich bin überzeugt, dass man mit dem Thema Nachhaltigkeit ein recht breites, interessiertes Publikum finden kann, wenn man es nicht bloss als werberische Worthülse benutzt, sondern zeigt, was es wirklich bedeutet. Also ein Produkt, das einen vernünftigen Umgang mit Ressourcen bietet, verlässlich ist, Spass macht und viele Jahre hält. Wir kriegen Zelte zurück, die bis zu 50 Jahre alt sind und immer noch funktionieren. Was ich vor allem faszinierend finde, sind die unzähligen Geschichten und Erinnerungen, die die Besitzer mit dem Zelt oder auch mit einem Rucksack verbinden.
Die Jungen von heute – denken die so langfristig?
Wenn man die Trümmerfelder mit Tausenden von Zeltleichen nach den Open Airs anschaut, kann man ins Zweifeln geraten. Ich denke aber, dass die meisten – egal welchen Alters – das Problem sehen und nachhaltigere Produkte wollen.
Ich könnte mir vorstellen, einen Stoff zu entwickeln, der kühlt oder Strom generieren kann, um kleinere Geräte zu betreiben.