Eine klare Trennung von Leben und Beruf gibt es heute nicht mehr. Dank Homeoffice oder mobiler Arbeit vergrössern sich seit einigen Jahren die Freiräume bei der Wahl des Arbeitsortes. Und weil immer mehr Unternehmen Arbeiten in kleine Projekte zerlegen und verteilen, kommt zur zeitlichen und räumlichen Flexibilität zunehmend auch die organisatorische Flexibilität. Doch was wird dabei aus den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern?
Die Flexibilisierung der Arbeit bricht bisher fest gefügte berufliche Positionen auf. Sie führt dazu, dass vielen Erwerbstätigen erhöhte Autonomie zugestanden wird. Zuvor klare Grenzen zwischen Angestellten und Selbstständigen brechen auf, im Gegenzug müssen alle mehr Verantwortung übernehmen. Auch das hat seine guten Seiten: Flexible Arbeit macht es vielen leichter, Berufliches und Privates unter einen Hut zu bringen. Doch auch dieser Gewinn an Lebensqualität hat seinen Preis: Wer die nötige Disziplin zum Selbstmanagement nicht aufbringt, dem drohen Selbstausbeutung und chronische Übermüdung.
Im Auftrag von TA-SWISS hat ein Projektteam der Hochschule Luzern und der Fachhochschule Nordwestschweiz unter der Leitung von Jens O. Meissner und Johann Weichbrodt die Chancen und Risiken flexibilisierter Arbeit für die Erwerbstätigen untersucht. Die nun vorgelegte Studie «Flexible neue Arbeitswelt. Eine Bestandsaufnahme auf gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Ebene» analysiert die absehbaren Folgen der Veränderungen in der Arbeitswelt für das Individuum wie auch für die Volkswirtschaft und beleuchtet die rechtlichen Rahmenbedingungen. Die wichtigste Botschaft lautet: Die individuellen und gesellschaftlichen Folgen flexibilisierter Arbeit sind ausgesprochen ambivalent. Um sie in eine positive Richtung zu lenken, sind Massnahmen auf verschiedenen Ebenen notwendig. Als besonders wichtig stellen sich dabei Aus- und Weiterbildung heraus: Denn eine qualifizierte Grund- und Fachausbildung verbessert die Chancen, dass Arbeitnehmende die positiven Potenziale der Flexibilisierung nutzen können, ganz erheblich.
Die wichtigsten Empfehlungen der TA-SWISS-Studie:
In welche Richtung das Pendel in Zukunft ausschlägt, wird nicht technisch oder ökonomisch bestimmt, sondern hängt von der Gestaltung neuer Arbeitsformen auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene ab. Daher gilt:
- Für den Umgang mit zeitlicher und örtlicher Entgrenzung der Arbeit sind gesetzliche Rahmenbedingungen nötig, die gegebenenfalls auch sanktioniert werden. Sie sollten sich aber darauf beschränken, Extremformen auszuschliessen, und somit den Charakter von «Leitplanken» haben.
- Die Subjektivierung der Arbeit kann grössere Freiräume eröffnen, verlangt den Einzelnen aber auch mehr Verantwortung ab. Hier gilt es die Gesellschaft generell zu sensibilisieren und die Erwerbstätigen zu befähigen, mit der flexibilisierten Arbeitswelt umzugehen. Gefordert sind insbesondere Institutionen der Aus- und Weiterbildung, es bieten sich aber auch Chancen für Gewerkschaften, ihren Aufgabenbereich auszuweiten.
- Betriebliche Flexibilität stellt hohe Anforderungen an Vorgesetzte und Mitarbeitende zugleich und setzt partizipative Organisationsmodelle voraus. Innerhalb der gesetzlichen Leitplanken sollen die Sozialpartner die Möglichkeit haben, lokale und angepasste Lösungen gemeinsam auszuarbeiten.
Die Flexibilisierung der Arbeitswelt hat auch zahlreiche rechtliche Konsequenzen. Besonders wichtig sind:
- eine Anpassung der Arbeitszeitregelungen, da das Arbeitsrecht beispielsweise Mindestruhezeiten und Maximalarbeitszeiten vorschreibt, die auf abweichende Arbeitszeitmodelle schwer anwendbar sind.
- die Bereinigung von Defiziten bei den Sozialversicherungen von Kurzarbeitseinsätzen. Offen ist auch, wie bei internationalen Arbeitsbeziehungen die in der Schweiz geltenden Regelungen durchgesetzt werden können und wie der Status von Scheinselbständigen zu erfassen ist.
- eine Überprüfung des Umgangs mit (noch) undefinierten Arbeitsformen, da diese sich in rechtlichen Graubereichen bewegen. Um der Gefahr einer drohenden Schattenwirtschaft beizeiten entgegenzutreten, sollte zudem die offizielle Statistik neuen Erscheinungen wie etwa dem Crowdworking vorausschauend Rechnung tragen.
Die Studie bestellen
«Flexible neue Arbeitswelt. Eine Bestandsaufnahme auf gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Ebene.» Jens O. Meissner, Johann Weichbrodt, Bettina Hübscher, Sheron Baumann, Ute Klotz, Ulrich Pekruhl, Leila Gisin und Alexandra Gisler. Herausgegeben von TA-SWISS, Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung, vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich, 2016. Im Buchhandel erhältlich (ISBN 978-3-7281-3770-8) sowie kostenlos im Open Access als eBook (www.vdf.ethz.ch)