In der Übersicht
Charles Keils Hypothese, dass sich die Qualität einer 'swingenden' Jazzperformance auf der mikrorhythmischen Ebene erschliesst, stösst heute auf eine breite Akzeptanz in der Gemeinschaft der Forschenden. In den vergangenen 20 Jahren wurden mehrere Versuche unternommen, um das Geheimnis dieser 'little discrepancies' zu lüften. Die Analysen von Reinholdsson 1987, Rose 1989, Ellis 1991, Huang/Huang 1994, Prögler 1995, Collier/Collier 1996, Ashley 1996, Järvinen 1997, Ashley 2002, Busse 2002, Friberg/Sundström 2002, Collier/Collier 2002, Iyer 2002, Pressing 2002, Senn 2005, Benadon 2006 beschreiben die rhythmischen Verhältnisse von ausgesuchten Beispielen zumeist in präziser Weise und geben zahlreiche Einblicke in die rhythmische Gestaltung innerhalb von Jazz-Ensembles.
Aus den bisherigen Analysen lässt sich indes keine generalisierbare Theorie des Swing ableiten. Dies liegt zum einen daran, dass die Analysen methodologisch sehr unterschiedlich vorgehen. Zum anderen legen die Analysen nahe, dass „Swing“ tatsächlich kein generalisierbares mikrorhythmisches Phänomen ist, sondern sich in unterschiedlichen Kontexten auch unterschiedlich präsentiert. Die methodologische Disparatheit der Untersuchungen lässt hier keine abschliessende Einschätzung zu. Die bisherige Diskussion zeitigt interessante empirische Resultate, sie ist jedoch ausgesprochen arm an theoretischer Reflexion: Die Analysemethoden sind meist nur sehr rudimentär beschrieben, die Visualisierung präsentiert die Analyseresultate meist in einer wenig informativen Weise; eine Theorie der rhythmischen Interaktion ist bisher unbekannt.
Das vorliegende Projekt erarbeitet zwei Beiträge für eine Konferenz in London und eine Vortragsreihe in Zürich. Diese Beiträge entwerfen eine rudimentäre Theorie der rhythmischen Interaktion, entwickeln Kriterien und einen Algorithmus für die Messung mikrorhythmischer Eigenschaften, analysieren mit dieser Methode die Mikrorhythmik anhand von je einem Beispiel und visualisieren die Analyseresultate mit LARA. Aufgrund der in den LARA-Diagrammen erkennbaren Muster können vorsichtige Hypothesen formuliert werden, welche rhythmischen Eigenschaften die Beispiele „swingen“ lassen.