In der Übersicht
Das Projekt untersucht künstlerische Auseinandersetzungen mit der Wirklichkeit und künstlerische Konzepte von ‘Realität’ vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Abstraktionsprozesse. Dass unsere Welt immer weniger auf den Bereich des Sichtbaren und Repräsentierbaren beschränkt sei, stellt im populären wie im wissenschaftlichen Diskurs schon fast einen Gemeinplatz dar. Zahlreiche Phänomene, die mit der postindustriellen kapitalistischen Dynamik der Kulturproduktion einhergehen – Finanzialisierung und globale digitale Konnektivität, aber auch Cloud Computing und Informationsunordnung –, scheinen solche Intuitionen zu bestätigen. Verschiedene marxistische und andere Gesellschaftstheorien haben jedoch gezeigt, dass Abstraktionsprozesse für die vom Kapitalismus geprägte Welt schon immer wesentlich waren. Sie verstehen Abstraktion nicht so sehr als Abstraktion von der materiellen Wirklichkeit denn vielmehr als Abstraktion, die in der materiellen Wirklichkeit wirksam ist oder diese hervorbringt: als soziale Praktiken der realen Abstraktion. Wenn Abstraktion konstitutiv für die Wirklichkeit ist, muss dies schwerwiegende Konsequenzen für den Begriff des künstlerischen Realismus haben. Diese Feststellung ist der Ausgangspunkt unseres Projekts. Wir sehen ihre Bedeutung darin, dass ie den künstlerischen Realismus neu zu definieren erlaubt, indem wir seine Geschichte mit theoretischen Darstellungen sozialer Abstraktionen konfrontieren. Obwohl Fragen des Realismus gegenwärtig auf der Tagesordnung der künstlerischen Praxis, der kunsthistorischen Forschung und der Philosophie stehen, bleibt eine systematische Auseinandersetzung mit realistischen Ansätzen zu gesellschaftlichen Abstraktionsprozessen ein Desiderat.