Wenn die Batterie später aufgeladen wird, kann ein Kunde das eher verkraften als einen Produktionsausfall.
Reserven werden nicht angetastet
Power Alliance soll bis dato brachliegende redundante Leitungskapazitäten nutzen, die als Reserven bei Störfällen dienen. Das System verschiebt den Zeitpunkt des Strombezugs darin aber nur bei «nicht kritischen» Prozessen, wie Gabriela Binder betont. Darunter fällt etwa das Aufladen von Speichersystemen. Priorität hat die Stromversorgung wichtiger betrieblicher Prozesse. Kappt also beispielsweise ein Sturm eine regionale Hochspannungsleitung, reserviert das Smart Grid den verfügbaren Strom aus den redundanten Leitungen für die Produktion statt für die Batterie. Welche Prozesse er als kritisch betrachtet, entscheide letztlich der Kunde selbst, so Binder weiter: «Wenn die Batterie einige Stunden später und zu einem höheren Stromtarif aufgeladen wird als üblich, kann der Kunde das eher verkraften als einen Produktionsausfall.» Im Vordergrund von Power Alliance steht im Zweifel somit der volkwirtschaftliche Nutzen, nicht die Preisoptimierung der Verbraucher. Das Netz soll ausgelastet werden, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden.
Ob sich die vom Power-Alliance-Konsortium vorgeschlagene Technologie durchsetzen wird, hängt laut Gwendolin Wilke nicht zuletzt vom Anteil solcher nicht kritischer Prozesse am Verbrauch ab, dem Angebot an erneuerbaren Energien sowie von den regulatorischen Vorgaben der Behörden. Smart Grids, stellt die Informatikerin fest, hätten riesiges Potenzial, und «sie werden Forschung und Stromindustrie noch jahrzehntelang beschäftigen.»
Autor: Martin Zimmermann
Bild: Hochschule Luzern, Martin Vogel
Forschende der Hochschule Luzern werfen derzeit einen Blick in die sprichwörtliche Glaskugel: Als Teil des internationalen Konsortiums Power Alliance untersucht das Team um Informatikerin Gwendolin Wilke, wie gut mathematische Modelle den Energieverbrauch von Stromkonsumenten vorhersagen. Verlässliche Berechnungen, sagt Wilke, seien ein Meilenstein auf dem Weg zur Umsetzung eines Smart Grid. Diese «intelligenten» Stromnetze sollen helfen, das heutige Stromnetz für die Zukunft fit zu machen. Es muss gerüstet sein für eine schwankende Stromproduktion durch Solar- und Windkraftanlagen sowie für eine steigende Nachfrage nach Strom zum Beispiel durch Elektroautos. Wilke: «Dank Smart Grids können wir mit der vorhandenen Netz-Infrastruktur flexibler darauf reagieren. Wir müssen sie nicht immer weiter ausbauen und auf Spitzenauslastungen ausrichten.»
Strom kaufen, wenn er günstig ist
Als Symbiose aus Strom- und Datennetzen steuern Smart Grids den Energieverbrauch so, dass er dann anfällt, wenn etwa überschüssiger Strom aus erneuerbaren Energien im Netz ist. Der Smart-Grid-Ansatz von Power Alliance soll dabei volks- und betriebswirtschaftliche Interessen möglichst unter einen Hut bringen. So vermeidet er Überbelastungen der Stromleitungen und den teuren Ausbau des Netzes. Aus Kundensicht wiederum lohnt es sich, dann Strom zu beziehen, wenn er im Überfluss vorhanden und daher günstig ist.
Im Alltag könnte das so funktionieren: Ein Produktionsbetrieb schafft ein Batterie-Speichersystem an. Dieses wird aufgeladen, wenn das Stromangebot hoch und die Preise niedrig sind. Das kann am frühen Nachmittag sein, wenn viel Solarstrom im Netz ist. Am nächsten Morgen, wenn das Angebot niedrig und die Preise hoch sind, nutzt der Betrieb den in der Batterie gespeicherten Strom. Er senkt so seine Stromkosten und entlastet gleichzeitig das Netz.
Damit nicht alle Kunden zur gleichen Zeit Strom beziehen und damit das Netz überlasten, staffelt Power Alliance den Bezug nach dem Prinzip «First come – first serve»: Der Betrieb lädt seine Batterie von 13 bis 15 Uhr; die benachbarte Hochschule von 15 bis 17 Uhr.
Kein Plan ohne Prognose
Den Plan für die nächsten 24 Stunden erstellt der regionale Verteilnetz-Betreiber mittels einer im Rahmen von Power Alliance entwickelten Software. Als Basis für eine Prognose über den Stromverbrauch dienen ihm die Nutzungsdaten der Kunden und ihre Vorgaben zur Stromkosten-Senkung. Nur mit guten Bedarfsprognosen kann der Betreiber den Strombezug Hunderter Kunden planen. Hier kommt Gwendolin Wilkes Team ins Spiel. In der seit Juni laufenden Pilotphase von Power Alliance prüft es mit Netzbetreibern in der Schweiz und Deutschland verschiedene Prognose- Modelle. «Wir versuchen herauszufinden, welches mathematische Modell gute Prognosen liefert», sagt Forscherin Gabriela Binder. «Dazu testen wir sie mit Daten von Versuchskunden aus Teilnetzen, die sich in punkto Topologie, Ausbauzustand oder Auslastung unterscheiden.»
Die Resultate werden mit der tatsächlichen Stromnutzung verglichen: Je grösser die Übereinstimmung, desto besser das Modell. Den Verbrauch einzelner Kunden zu modellieren, ist aufwändig, weil er ähnlich wie Aktienkurse kurzfristig stark schwanken kann.
Forschen am Netz – international vernetzt
Power Alliance wird vom EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 und dem Schweizerischen Bundesamt für Energie BfE finanziert und läuft bis 2019. Am Projekt beteiligt sind neben der Hochschule Luzern die Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW, die auf Lastenoptimierungen spezialisierte Firma Xamax, der Energiemanagementsystem-Entwickler ASKI (A) sowie die regionalen Energieversorger EBM Genossenschaft Elektra Birseck (CH) und Stadtwerke Crailsheim (D). Die Projektleitung hält der Stromkonzern Alpiq inne.
Projektwebsite inklusive wissenschaftliche Publikation.