Wer in diesen Wochen in den Schwyzer Bezirken March und Höfe unterwegs ist, wird sich da und dort wundern. Etwa über einen Mann, der gebündelte Kartonabfälle auftrennt und säuberlich nebeneinander auslegt. Über Kunstschaffende, die die Gegend auf der Suche nach dem Schönen abwandern. Oder über einen Flyer, der dazu auffordert, sich an einer Tauschbörse mit Asylsuchenden zu beteiligen. Es handelt sich dabei um künstlerische und vermittelnde Projekte angehender Künstlerinnen und Kunstpädagogen, die dieses Jahr den Master in «Fine Arts» abschliessen.
«Wir verankern unsere Ausbildung mitten im gesellschaftlichen Leben», erklärt Peter Spillmann, Leiter des Majors «Art in Public Spheres» am Departement Design & Kunst. «Wir interessieren uns für Stadtentwicklung, für Kooperationen mit der Bevölkerung, mit der Politik oder der Verwaltung und schauen, welche Konfliktfelder es in einem bestimmten Raum gibt, und reagieren darauf.»
Quer durch die Zentralschweiz
Für jeden Abschlussjahrgang wird ein neuer Ort bestimmt. Die Reise führt quer durch die Konkordatskantone der Hochschule Luzern. So klein und in sich vertraut die Zentralschweiz scheinen mag: Sie ist alles andere als einheitlich. Ländliche, suburbane und urbane Welten wechseln einander ab. An einem Ort lebt man gediegen, nebenan eher bäuerlich und praktisch. Littau-Reussbühl, Zug, Sarnen oder die Luzerner Baselstrasse standen bereits im Fokus.
Dieses Jahr dreht sich alles um zwei Orte im Kanton Schwyz: Lachen und Pfäffikon. «Ausserschwyz» heisst diese Region auch, die zwar zur Innerschweiz gehört, sich aber durch ihre Lage am Ober- und Zürichsee stark nach Zürich orientiert. Sogar innerhalb dieser kleinen Region finden sich starke Kontraste. Pfäffikon wurde nach New York und Shanghai innert Kürze zu einem bedeutenden Hedge-Fonds-Zentrum, die Fluktuation bei der Wohnbevölkerung ist gross, man bewegt sich diskret und anonym.
Acht Kilometer entfernt liegt Lachen. Eine ebenfalls stark wachsende Gemeinde mit einer eher älteren Bevölkerung, die weniger auf Wirtschaft denn auf Wohnen und Freizeit ausgerichtet ist. Der Slogan der Gemeinde heisst «Lachen bewegt», und Bewegung möchte man auch initiieren, zum Beispiel mit Kunst. Deshalb war die Gemeinde als Partner des Projekts «sofort dabei», erzählt Gemeindepräsident Peter Marty.
Neuer Blick auf Bekanntes
Für die Orte, an denen die Studierenden mit ihren Projekten intervenieren, sieht Spillmann die «Chance, dass wir sie mit einem unvertrauten Blick konfrontieren. Wir zeigen dann im besten Fall etwas Neues.» Ein Perspektivenwechsel auch für die Studierenden, die sich mit ihnen unbekannten Orten auseinandersetzen müssen.
Dass aus anfänglichem Befremden etwas Produktives entstehen kann, zeigt die Arbeit von Sonja Nasevska. Etwas irritiert war die aus Skopje stammende Bildhauerin nämlich von den Skulpturen, die sie an der Lachener Seepromenade vorfand: «Ich fragte mich, was die Leute mit ihnen anfangen können. Sie schienen mir sehr unnahbar. Also nahm ich mir zum Ziel, eine Skulptur zu entwickeln, mit der die Leute interagieren können.» Sie wird aus 200 farbigen Kuben und drei riesigen Holzrahmen bestehen. «Die Menschen können mit den Kuben spielen, sie neu platzieren. So eignen sich die Menschen die Skulptur an und gestalten sie ständig neu», erklärt Nasevska.
Anfreunden und Entfremden
Shlomit Avishai arbeitet ganz konkret mit dem «Fremden». Sie entwickelt gemeinsam mit Asylsuchenden eine Börse, bei der Einheimische und Fremde Dinge und Dienstleistungen untereinander tauschen. «In Pfäffikon herrscht das Geld vor, etwas, das die Asylsuchenden nicht haben. Es gibt auch kaum Projekte für sie. Die Tauschbörse soll den Asylsuchenden eine Beschäftigungsmöglichkeit geben und den Kontakt zu ihnen erleichtern.»
Geht es bei der Tauschbörse ums Anfreunden, handelt das Projekt von Fabio Grossi mehr vom Entfremden: Als er vor einem Jahr am Wägitalersee skizzieren wollte, fehlte ihm eine Unterlage. Er verwendete kurzerhand einen der Kartons, die darauf warteten, eingesammelt zu werden. Daraus entstand die Idee, mit Altkartons zu arbeiten, neue Auslegeordnungen zu finden und dabei auf spezifische Raumsituationen zu reagieren. «Hingehen, eingreifen und wieder weggehen, dieser Prozess interessiert mich. Und dass die Arbeit, kaum gemacht, gleich wieder verschwindet», so der angehende Lehrer für Bildnerisches Gestalten.
Ob Kunst und künstlerische Projekte neu sind oder provokant, eigensinnig oder mit anderen Kulturen verbunden – «Kunst ist primär immer etwas Fremdes. Das macht aber auch ihre Spannung aus», sagt Peter Marty. Gleichzeitig bringe Kunst Menschen zusammen: «Beim grossen Eröffnungsevent und während der Ausstellung finden Begegnungen statt, die sonst vermutlich nicht zustande kämen.»
Autorin: Susanne Gmür