Ein Mann steht an der Kasse des Filmtheaters. Er will ein Ticket für den 3-D-animierten Film über Dinosaurier kaufen. «Werden Originalaufnahmen gezeigt?», fragt er die Kassiererin. Verdutzt schaut diese ihn an. «Ja», antwortet sie schliesslich mit einem Lächeln, «aber nur in Schwarzweiss.» Da bemerkt der Mann seinen Lapsus, lacht und kauft das Ticket. Von dieser Begegnung haben viele Mitarbeitende des Verkehrshauses der Schweiz in Luzern schon einmal gehört, obwohl sie mehrere Jahre zurückliegt. «Gastfreundschaft hat viele Facetten», sagt Tobias von Wartburg, «es kann auch bedeuten, unsere Gäste zu verblüffen.» Er ist Beauftragter für Gastfreundschaft im Verkehrshaus und erarbeitete mit der Geschäftsleitung Massnahmen, um die Mitarbeitenden hinsichtlich Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und Herzlichkeit zu sensibilisieren und zu schulen. «Unsere Gäste stehen im Mittelpunkt. Das darf im Alltag nicht vergessen gehen.» Es ist kein Zufall, dass das Verkehrshaus just dieses Jahr Anstrengungen unternimmt, sich die Bedürfnisse der Besucherinnen und Besucher in Erinnerung zu rufen: Mit dem Gästival feiern die Kantone rund um den Vierwaldstättersee heuer «200 Jahre Gastfreundschaft ».
Drei Departemente beteiligt
Für seine interne Kampagne holte sich das Verkehrshaus Unterstützung bei der Hochschule Luzern. Das Institut für Tourismuswirtschaft ITW bietet seit kurzem Workshops zu Gastfreundschaft an. Die Workshops sind Teil eines von der Kommission für Technologie und Innovation ( KTI ) des Bundes geförderten Forschungsprojekts, an dem drei Departemente der Hochschule Luzern mitwirken: Wirtschaft, Soziale Arbeit und Design & Kunst. Projektpartner sind die fünf kantonalen Tourismusorganisationen von Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden und Nidwalden sowie pro Kanton ein Tourismusunternehmen: das Verkehrshaus der Schweiz, das Seminar- und Wellnesshotel Stoos, der Brünig Park, die Stanserhorn-Bahn und die Andermatt-Sedrun Sport AG.
Zufriedene Gäste bringen Umsatz
Das interdisziplinäre Projekt der Hochschule Luzern wurde im Rahmen von Gästival initiiert und soll dazu beitragen, das Bewusstsein für Gastfreundschaft zu stärken – insbesondere in touristischen Unternehmen, aber auch in der Bevölkerung. «Gastfreundschaft ist ein zentraler Wettbewerbsfaktor», sagt die Ökonomin und stellvertretende Projektleiterin Barbara Taufer. «Zufriedene Gäste sind bereit, mehr Geld auszugeben und länger zu bleiben. Sie kommen oftmals wieder und empfehlen den Ort weiter. Dies hat nicht nur positive Auswirkungen auf den Umsatz, sondern auch auf die Wertschöpfung in der Tourismusbranche.» Dass es sich lohnt, in Gastgeberqualitäten zu investieren, findet auch der weltweit tätige Werbefachmann Kevin Roberts. «Die Schweiz sollte in ihrer Tourismusstrategie voll auf Gastfreundschaft setzen. Das macht sie unabhängiger von Währungsschwankungen, denn wahre Gastfreundschaft ist unbezahlbar», sagte er am diesjährigen World Tourism Forum in Luzern. Angesichts des starken Frankens und der aktuellen Branchenprognosen des Forschungsinstituts BAK Basel, die von einem Rückgang der Wertschöpfung im Schweizer Beherbergungssektor ausgehen, dürfte seine Aussage für Touristiker an Bedeutung gewinnen.
Branchenkenner sind besonders kritisch
Touristische Unternehmen haben eine Schlüsselfunktion, bei ihnen gilt es anzusetzen. Das zeigen Umfragen der Hochschule Luzern: Sie liess letzten Herbst 114 Vertreterinnen und Vertreter der Tourismusbranche die Wichtigkeit der Gastfreundschaft in der Zentralschweiz und die Zufriedenheit damit beurteilen – und zwar aus Sicht der Gäste. Dieses Frühjahr beantworteten 887 Gäste, grösstenteils aus dem Inland, und 496 Personen aus der Bevölkerung die gleichen Fragen. Ziel war es, die Einschätzungen der drei Gruppen zu vergleichen. Zum einen beurteilen die Fachpersonen die Zufriedenheit mit der Gastfreundschaft in der Zentralschweiz deutlich schlechter, als dies die Gäste selbst und die Bevölkerung tun ( siehe Grafiken ). «Die Leistung der Schweiz in Sachen Freundlichkeit wurde in verschiedensten Tourismusrankings immer wieder kritisiert, das hat sich wohl in den Köpfen verankert », vermutet Barbara Taufer. Hier gelte es schlicht, das Selbstvertrauen zu stärken. Zum anderen unterschätzen die Branchenvertreterinnen und -vertreter, wie wichtig der weiche Faktor «Gastfreundschaft » für Touristen bei einem Buchungsentscheid ist. «Das ist problematisch. Denn im Zuge der Globalisierung verändern sich die Gästebedürfnisse: Die Beziehung zu den Menschen eines Landes wird für Touristen immer wesentlicher. Deshalb sollten in einem Unternehmen alle Mitarbeitenden ihre Gastgeberkompetenz schulen», so Taufer. Zur Unterstützung der Betriebe entwickelt und sammelt die Hochschule Luzern deshalb Instrumente, die diese zur Sensibilisierung und Weiterentwicklung von Gastfreundschaft einsetzen können: Dazu gehören unter anderem Workshops und ein Merkblatt der Stanserhorn-Bahn für eine positive Sprache gegenüber den Gästen. Alle Instrumente sind auf der Website www.gastfreundschaft-zentralschweiz.ch abrufbar.
Autorin: Yvonne Anliker
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