Unser Blick auf die Vergangenheit geht stets von der Gegenwart aus und färbt unweigerlich auf das Erinnerte ab. Er führt zu einer Verschiebung, zu einer Verformung, zu einer Umwertung und Erneuerung. Anna-Sabina Zürrer, Nici Jost und Nicolas Witschi setzen dies in und mit ihren Arbeiten künstlerisch um, wozu sie aus dem gesichteten Fundus einzelne Fotografien für sich bestimmt haben. Aus Schwarz-Weiss wird plötzlich Farbe. Dabei geht es stets um den Aspekt des Sammelns, Aufbewahrens und um die Frage nach der Auslese.
Im Erdgeschoss des Kunsthauses widmet sich Nicolas Witschi in Selbstporträt mit Gämse einem fotografischen Spiegelbild von Emil Schärer. Seit der Renaissance pendeln Selbstdarstellungen in der Kunst mittels ihrer Selbstinszenierung zwischen gesteigertem Selbstbewusstsein und Selbstverfremdung. Stets ist es eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, der eigenen Individualität. Der Aspekt der Spiegelung interessiert auch Nicolas Witschi in seinem künstlerischen Schaffen. Durch das Harz, das er mit einem Pinsel Schicht um Schicht auf die Fotografien aufträgt, lässt er die Oberflächen spiegeln und verfremdet so das ursprüngliche Bildmaterial. Bezugnehmend auf den Inhalt der Sujets ordnet Nicolas Witschi den jeweiligen Fotografien Epoxydharzplatten zu, die er mit Pigmenten entsprechend unterschiedlich einfärbt. Das hierfür verwendete Pigmentpulver stellt er selbst her, oftmals fliesst Material des Ortes mit ein: Er sammelt Steine und zerreibt sie in einem Mörser. Zu beiden Seiten des Selbstporträt mit Gämse montiert er je eine hängende mit Pigment und Kunstharz beschichtete Platte. Zusammen bilden sie ein Triptychon. Diese Anordnung weckt unweigerlich Erinnerungen an einen dreiteiligen Flügelaltar. Durch die spiegelnde Materialität des Kunstharzes wird der Betrachter ausserdem auf sich selbst, seine Erinnerungen und Vorstellungen zurückgeworfen. Schlägt man den Bogen zur Gegenwart, findet man sich unerwartet selbst vor einem Selfie wieder. An der gegenüberliegenden Fensterfront hängen drei grosse Pigmentplatten. In Referenz zur Kamera in Emil Schärers Fotografie deutet der helle Kreis die Linse der Kamera an. Die hierfür verwendeten Farbpigmente stammen aus Steinen von Zofingen, während die farbig umrahmenden Teilstücke der über Jahre angehäuften Steinsammlung des Künstlers entspringen. Hier erfolgt eine weitere Spiegelung unter Einbezug des Aussen, wenn die grossen Platten Zofingen sowie den vorbeigehenden Fussgänger reflektieren.
Die transparenten, schwebenden Pigmentplatten deuten auf eine Erinnerung, die erkennbar und konservierbar, letztlich aber doch nicht greifbar ist. Diesen Blick in die Vergangenheit setzt Nicolas Witschi auch bei den weiteren hier ausgestellten Arbeiten ein. Ausgehend vom Inhalt der gewählten Sujets fügt er dem Original eine oder zwei Kunstharzplatten an. Mittels Hell- und Dunkel-Kontrasten und unterschiedlicher Schichtung erreicht er in der direkten Gegenüberstellung ein farbiges Spiegelbild. So findet beispielsweise eine Fotografie der Gigerwand im Riedtal seine Entsprechung in der Kunstharzplatte, deren Pigmente Nicolas Witschi direkt aus Zofinger Gestein aus ebendieser Wand gewonnen hat.