Im Interview spricht er über die relevantesten Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz für die Baubranche – etwa Werkzeuge für einen einfachen Zugriff auf Umweltdaten sowie für deren Verarbeitung und Analyse zur Überwachung der Erreichung Netto-Null – und darüber, weshalb er das saisonale Energiemanagement als besonders profitable Anwendung von KI einschätzt. Er zeigt aber auch auf, weshalb wir über den enormen Energieverbrauch von KI ebenso sprechen sollten wie über den Wert unserer Daten, mit welchen wir die aufgewendete Energie «bezahlen». Und schliesslich plädiert Bruno Michel dafür, bei allem Jubeln über die grossen Leistungen der KI auch über «künstliche Dummheit» zu sprechen, wenn generative KI mit schlechten Trainingsdaten aus dem Internet Informationen generiert, die auf den ersten Blick logisch erscheinen, aber ungenau oder gar falsch sind.
Künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant. Welche grundlegenden Konzepte sollte die Öffentlichkeit verstehen, um die aktuellen Entwicklungen besser einordnen zu können?
Anwendungen Künstlicher Intelligenz sind immer nur so gut wie die Trainingsdaten. Daher verursachen Dateneingabe und Aufbereitung immer den grössten Aufwand. Bei den heute verfügbaren Chatbots ist dieser Aufwand für externe Benutzerinnen und Benutzer kaum ersichtlich. Generative KI-Anwendungen sind ein Spezialfall, da diese auf Daten im Internet trainiert werden, die von den Firmen nachbereitet werden. Diese basieren jedoch auf der Aufbereitungsarbeit von uns allen.
Immer gravierender wird auch die Tatsache, dass im Internet immer mehr nur Masse zählt und nicht Qualität: Training mit Daten von niederer Qualität führt zu einem schlechten Ergebnis, das durch einen hohen Aufwand an Energie nur marginal verbessert werden kann. Generative KI braucht keine menschliche Anleitung mehr. Das macht sie kostengünstig, aber auch anfällig für Probleme: Wer sich mit den grossen Leistungen von Künstlicher Intelligenz brüstet, darf sich nicht davor drücken, auch über «künstliche Dummheit» zu reden.
Ein weiteres Problem ist die Explosion des Energieverbrauchs von KI: Dieser Verbrauch wird von den meisten Anbietern vor den Nutzenden versteckt, da diese mit ihren Daten «bezahlen», die einen weit grösseren Wert haben als die aufgewendete Energie.
Welche Rolle kann Künstliche Intelligenz speziell in der Gebäudetechnik, im Energiemanagement und in der Bauindustrie spielen? Sehen Sie hier bestimmte Trends oder Innovationen, die unser Leben in den nächsten Jahren verändern könnten?
KI ist besser als klassische regelbasierte Multiparameter-Optimierung – ab einer gewissen Komplexität und wenn sich die Bedingungen laufend in einem gewissen Mass verändern. Bei zu kleiner Variabilität sind die klassischen Methoden besser; bei zu grosser Variabilität muss KI neu trainiert werden oder kann keine genügend genauen Aussagen machen. KI-Anwendungen sind immer aufwendig, weil sie auf grossen Mengen guter Daten basieren. Dies treibt die Kosten in die Höhe.
In der Gebäudetechnik und im Energiemanagement ist es möglich, genügend schnell eine Masse an guten Trainingsdaten hinzubekommen, wenn die Ausführung weltweit oder auf einem Kontinent standardisiert ist. Meine Einschätzung ist, dass saisonales Energiemanagement eine profitable Anwendung von KI erlaubt. Da saisonale Energiespeicher sehr teuer sind, müssen diese bestmöglich eingesetzt werden. Das ist bis heute nicht der Fall. Da könnte KI also einen wirklichen Unterschied machen.
Welches werden in den nächsten Jahren betreffend Einsatz von KI die für die Baubranche relevantesten Entwicklungen sein?
Die Baubranche ist ein digitaler «Nachzügler». Daher sind auch KI-Anwendungen mit zusätzlichen Herausforderungen konfrontiert. Wichtige laufende Entwicklungen sind KI-basiertes Informationsmanagement, Planungsunterstützung, Terminkontrolle, Fehlererkennung und Risikomanagement. Ein neuartiges Beispiel ist die Inspektion von Brücken, Trassees, Flughäfen und so weiter mit automatischen Drohnenscans zur Erkennung von Rissen und Korrosion. KI kann sich schneller verbreiten auf Basis von digitalen Zwillingen und konstanterer Datenaufnahme mit Internet-of-Things-Sensoren und kontinuierlicher Bilderkennung. Dafür müssen Baustellen aber mit besserer Kommunikationsinfrastruktur ausgerüstet werden. Digitale Tools wie openBIM (Building Integration Modeling) müssen mit besseren Schnittstellen vorangetrieben und Dokumente besser integriert werden. Ein Beispiel dafür ist die pdf-Dokumentenextraktion (IBM Docling) und das Textverständnis mit KI. Dieses geht viel weiter als die standardisierte Texterkennung (OCR), wenn Bauwissen in passende Ontologien verpackt wird.
IBM Research ist in vielen Bereichen der KI-Forschung führend. Welche aktuellen Entwicklungen oder Projekte halten Sie für besonders spannend – gerade mit Blick auf nachhaltige Technologien?
KI mittels IBM WatsonX wird heute in vielen Firmen unterschiedlichster Branchen standardmässig für verschiedenste Anwendungen gebraucht: Kundendienst, Personalwesen, Marketing, Finanzwesen, IT-Betrieb und Lieferketten-Optimierung. Eine neue Anwendung im Bereich Nachhaltigkeit ist die Plattform «IBM Environmental Intelligence» (EIS). Diese bietet eine Vielzahl von Programmierschnittstellen (APIs) für einen einfachen Zugriff auf Umweltdaten sowie für deren Verarbeitung, Analyse und strategische Nutzung. Gebrauchsfertige APIs integrieren zum Beispiel Geo- und Treibhausgasemissionsdaten sowie Wetteranalysen. Diese Daten helfen Firmen auf dem Weg in Richtung Netto-Null, indem sie CO2-Bilanzen oder Energiesparziele überwachen. Weitere Beispiele für das Monitoring mit EIS sind: Entwaldung, Nachwuchs oberirdischer Biomasse (Verifikation von Emissions-Zertifikaten), Emissionen im Güterverkehr, Detektion und Reduktion von Methan-Emissionen, Planung von Schneeräumung, Warnung vor Überflutungen und Waldbränden usw.
Eine weitere datengetriebene Anwendung ist die vorausschauende Wartung im Bausektor. Ein Thema, bei dem ich selbst mitgewirkt habe, ist die verbesserte Materialforschung mit KI (Accelerated Discovery), wo es darum geht, die Entwicklungsgeschwindigkeit von neuen Materialien für Medizin, Energie und Dekarbonisierung zu beschleunigen. Ein weiteres spannendes Beispiel ist ein «Foundational Model» für elektrische Netze. Diese sind zu den grössten «Maschinen» geworden, die wir je gebaut haben, und mittlerweile so komplex, dass wir sie nicht mehr ganz verstehen. Da kann KI helfen.