Dr. Pavel Kraus, Präsident Swiss Knowledge Management Forum SKMF.net, Partner AHT.ch und Dozent im MAS Baumanagement an der Hochschule Luzern – Technik & Architektur
Wissensmanagement ist den Kinderschuhen entwachsen
Wer kennt es nicht – schon wieder ein Workshop ohne Ergebnisse, eine ineffektive Sitzung oder eine Dokumentablage, in der man schon gar nicht mehr sucht, weil man darin sowieso nichts findet. Alle diese Beispiele haben mit Wissensmanagement oder Knowledge Management (KM) zu tun. KM beschleunigt Projektfortschritte, erleichtert Entscheidungen und generiert Ideen für komplexe Lösungen. Diese Aussage stütze ich auf meine persönlichen Praxiserfahrungen aus vielen Projekten in den Bau-, Elektrizität-, Medizintechnik- und Pharma-Branchen.
Ein Beispiel
In einem KM-Projekt einer Baufirma ging es um eine Beschleunigung von Projekten, bessere Qualität bei Entscheidungen und generell verbesserte Ausnutzung der vorhandenen Ressourcen. Angefangen haben wir mit einer breit angelegten Analyse der Arbeitspraktiken entlang den SIA-Phasen. Vorgängig haben sich die Mitarbeitenden in einem Workshop Gedanken über Verbesserungen gemacht. Mit einer speziellen Umfragemethode entwickelten wir daraus siebzehn Massnahmen. Davon waren fünfzehn organisatorische, lernorientierte bzw. kommunikative und zwei softwarebasierte. Dazu gehörten u.a. spezifische KM-Rollen wie «Göttis» für Neueintretende, Prozessintegration von «Lessons learned» nach jeder Phase, verschiedene KM-Workshops für kritische Arbeitsphasen und ein einheitliches Begriffsverständnis (Taxonomie), um Fachausdrücke zu vereinheitlichen und dadurch Informationen leichter auffindbar zu machen. Resultat: Das ganze Projektteam war überzeugt, dass schon nur ein Teil dieser Massnahmen bereits zu nachhaltigen Verbesserungen führt.
Wie kann eine praktische KM-Umsetzung aussehen?
Die Immobilien-Entwicklungsabteilung einer schweizweit bekannten Generalunternehmung wollte ein neues Immobilien-Produkt testen. Dabei ging es um eine Überbauung in der Junge (bis 35 ohne Kinder) und Ältere (ab 50 ohne Kinder) wohnen würden. Dafür benutzten wir folgende KM-Techniken: In einem zweistufigen Workshop («Think-Tank») mit einem bereichsübergreifenden Team wurden Varianten für Situationen und Interaktionen der Bewohner erarbeitet, begünstigt durch die Infrastruktur der Überbauung. Dieser «Think-Tank» wurde entwickelt, um innovative Themen in der Immobilien-Entwicklung zu erarbeiten. Dabei ist reichhaltiges Material wie z.B. Verkaufsargumente oder Grundrissanpassungen entstanden, welche später für die Vermarktung des Immobilien-Produktes verwendet wurden.
Diese Resultate testeten wir mit potentiellen Nutzern und Interessenten. Da es in einem 90-Minuten Workshop nicht möglich ist, zuerst einen 20-seitigen Bericht aus dem Think-Tank zu lesen und erst dann zu diskutieren, verwendeten wir weitere KM-Techniken:
- In der Vorbereitung visualisierten wir die Resultate mittels einer Erfolgslogik, d.h. einem auf Erfolgsfaktoren ausgerichteten Ursache-Wirkungs-Diagramm. Dadurch wurde die Komplexität reduziert und die Zusammenhänge wurden leicht verständlich und kommunizierbar gemacht.
- Anhand der Erfolgslogik wurden dann zwei typische Nutzer definiert, welche sich in vier charakteristischen Situationen in der Überbauung begegnen. Diese im Think-Tank erarbeiteten Situationen wurden mittels Story-Telling-Technik umgesetzt und am Anfang des Workshops vorgestellt. Die Quintessenz der Think-Tank-Resultate konnte so innerhalb von 20 Minuten bildhaft und lebendig präsentiert werden. Die Workshop-Teilnehmenden konnten viel schneller in die Diskussion einsteigen und der Workshop wurde entsprechend effizient durchgeführt.
Diese Beispiele widerspiegeln die Natur des Wissensmanagements. Es geht jeweils darum, das Wissen «in den Köpfen» der Fachleute effektiv zu aktivieren und in kurzer Zeit optimal zur Anwendung zu bringen. Die Investitionen in Sitzungen und Workshops, d.h. in die Zusammenarbeit, sollen auf diese Weise den grösstmöglichen Nutzen bringen.
Einfache Tools aus der KM-Praxis
Am Anfang eines andern KM-Projektes stand die Frage: Wie können Immobilien-Entwicklungsprozesse kreativer und finanziell erfolgreicher werden? Zuerst wurde analysiert, welche bestehenden Verfahren und Massnahmen bereits in der Handhabung von Wissen und Informationen am erfolgreichsten sind. Es interessierte besonders, was genau den Unterschied zwischen guten und sehr guten Projekten ausmacht. Dadurch sind Methoden und Techniken aus den Bereichen Planung, Endnutzer-Sicht, Arbeitstechnik und Standortanalyse identifiziert worden.
Daraus entstanden dreissig «Spielkarten», die heute in Bau-Projekten kreativ nach Situation und Kontext angewendet werden. Auf diesen Karten sind Anregungen, Ideen, Fragen oder Techniken aufgeführt, die nachgewiesenermassen zum ausserordentlich guten Projekt-Resultat geführt haben. Dazu gehören z.B. Gedankenstützen zu Verkehrswegen, Checklisten für Verständnis der Bauherrschaft, Nutzungsaspekte des Bauareals, Umgang mit politischen Gremien etc.
Zusätzlich wurde eine Matrix entlang der SIA-Phasen entwickelt, welche nützliche Techniken, kritische Fragen, Best Practices, Tools und Zwischenresultate in Kontext stellt. Die Spielkarten und die Matrix werden als Werkzeuge im Alltag angewandt. Dadurch regt man im Tagesgeschäft Reflexion an, generiert wichtige Ideen und behält den Überblick.
Irrtümer und Missverständnisse
Im Wissensmanagement geht es nicht primär um Technologien oder Apps. In keinem der oben erwähnten Beispiele spielte die Technologie eine wichtige Rolle. Viel wichtiger sind Methoden und Ideen, wie man Zusammenarbeit und Kommunikation optimiert, um beispielsweise Projektressourcen besser auszunutzen. Diese Erfahrung aus der Praxis wird auch durch eine Studie eines renommierten Meinungsforschers unterstützt. So werden «Wissensportale und Wissensdatenbanken» von nur 10-15% der Mitarbeitenden benutzt, und nur 1% der Probleme sind durch das Studium der gefundenen Artikel verhindert worden.
Fazit
Effektives Wissensmanagement besteht aus der Anwendung verschiedener Techniken, um Wissen der Fachleute effektiver zu nutzen. Erst in zweiter Linie kommen informationsorientierte Lösungen zur Anwendung, weil diese langsamer, teuer und aufwändiger sind. Der richtige Mix zwischen beiden entscheidet über den Erfolg
Praxiserfahrung eines Absolventen des MAS Baumanagement
Marc Bernet arbeitet beim Ingenieurbüro W+P Weber und Partner AG in Wil und hat in seiner Master-Arbeit 2018 das Thema «Evaluation von Wissensmanagement-Massnahmen» behandelt. Seine wichtigsten Erkenntnisse sind:
- Das alleinige wahllose Sammeln von Daten bringt keinen verwertbaren Fortschritt und keine messbaren Verbesserungen, sondern kostet wertvolle Arbeitszeit und viel Geld für entsprechende IT-Infrastruktur.
- Wissen ist an den Wissensträger gebunden und kann nur in bedingtem Ausmass weitergegeben werden.
- Für ein erfolgreiches KM ist Kommunikation unter Könnern zu fördern, unternehmensintern als auch projektbezogen über die Unternehmensgrenze hinaus.
- Können bzw. Könner entstehen durch Erfahrung und Feedback. Die Reflektion am Ende von Projektphasen oder nach besonders unerwarteten Ergebnissen sind wichtige Prozessschritte, um «organisationales Lernen» zu fördern und Wissen zu generieren.
- Es gibt (leider) keine allgemeingültige, kopierbare Vorgehensweise für Wissensmanagement im KMU. Jede Branche und jedes Unternehmen muss die für sie passende Anwendung entwickeln und umsetzen.
Die Master-Arbeit hat aufgezeigt, dass nicht die Daten und Informationen im primären Fokus stehen. Entscheidender sind die wertschöpfenden Prozesse, die Organisation der Zusammenarbeit und die Kommunikation. Ein konkretes Anwendungsbeispiel dafür ist die Integration der bislang fehlenden Techniken für «organisationales Lernen». Die Verbesserung der Wissens- und Informations-Transferprozesse sind ein wichtiges Ziel der aktuell laufenden Neustrukturierung der Projektablaufprozesse.