Overview
Übergeordnetes Ziel der Studie war die Analyse des Fallaufkommens und der Deliktsphänomenologie der Neugeborenentötung (Neonatizid) in der deutschsprachigen Schweiz sowie des Bildes, das relevante Berufsgruppen und die Bevölkerung von diesem Delikt haben. Hierzu wurden zum einen – sofern vorhanden – Strafprozessakten zu Fällen von Neugeborenentötungen aus bisher zwölf Deutschschweizer Kantonen ausgewertet (1980-2010); zum anderen wurde im Rahmen einer Fragebogenstudie eine mehrschichtige Zufallsstichprobe von insgesamt 374 Personen aus sechs Deutschschweizer Kantonen u. a. zu ihrem Kenntnisstand über das Phänomen der negierten Schwangerschaft und des Neonatizids befragt, 151 von ihnen waren Fachpersonen (Sozialarbeitende, Gynäkolog[inn]en, Pädiater[innen], Allgemeinmediziner[innen]).
Die Studie bestätigt, dass Neonatizide im Vergleich zu anderen Tötungsdelikten auch in der (Deutsch-) Schweiz relativ selten sind. In der gesamten Schweiz wird durchschnittlich ein Fall pro Jahr bekannt. Unklar bleibt jedoch weiterhin, wie viele Fälle im Verborgenen bleiben. Gerade beim Neonatizid wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen, u. a. weil er oftmals eine Folge von negierten Schwangerschaften ist. In weiten Teilen bestätigen die Resultate Erkenntnisse von Studien aus anderen Ländern zu Neonatiziden; einzelne der analysierten Deutschschweizer Fälle weisen jedoch darüber hinaus besondere Merkmale auf.
Als Möglichkeit der Prävention von Neonatiziden werden sowohl in der Fachliteratur als auch in den Medien vor allem die sog. Babyklappen sowie die "Anonyme Geburt" diskutiert; auch die überwiegende Mehrheit der Befragten hielt dies für geeignete Präventionsmassnahmen. Ihr Nutzen in diesen Fällen scheint jedoch vor allem vor dem Hintergrund der von den Kindsmüttern in der Regel negierten Schwangerschaften zweifelhaft. Dies gilt umso mehr, als dass sich Angehörige und Freunde der Frauen vielfach mit Ausreden und häufig äusserst unglaubwürdigen Erklärungen zufriedengeben. Sensibilisiert für bestimmte Anzeichen ist es aber gerade das weitere und nähere Umfeld der Frauen, das unter Umständen rechtzeitig einschreiten, die Schwangerschaft öffentlich und damit eine Tötung des Neugeborenen verhindern kann. Das Gleiche gilt für bestimmte Berufsgruppen, wie z. B. Sozialarbeitende oder Ärzte/-innen. Die Ergebnisse der Fragebogenstudie zeigen, dass hier noch Aufklärungsbedarf besteht. Besonders problematisch erscheint die falsche Überzeugung, es handele sich mehrheitlich um Taten psychisch kranker, besonders junger und/oder ausländischer Frauen.