Overview
Im Mittelpunkt steht die Wissensgenerierung über transkulturelle Musikarchive, die sich aufgrund ihrer historisch gewachsenen Bestände und neuen Zugänge von Tonaufnahmen in einem Spannungsfeld von Gedächtnisbewahrung und postkolonialer Kritik bewegen. Archive leisten einen fundamentalen Beitrag zur Bewahrung des musikalischen Erbes von Gruppen, indem sie deren Tondokumente sichern und damit zur Ermöglichung von deren Geschichte beitragen; sie werden zugleich durch den beschränkten Zugang zu diesen Tondokumenten durch die Angehörigen dieser Gruppen zu Akteuren in der Produktion von Ungleichheiten. So sind afro-brasilianischen Kulturerbe-Gruppen die in Schweizer und europäischen Archive bewahrten Tondokumente weitgehend nicht bekannt. Umgekehrt sind in vielen Archiven in der Schweiz und in Europa die postkolonialen Debatten noch kaum präsent. Ziel des Projekts ist es, einen Dialog zwischen Vertreter:innen von afro-brasilianischen Gruppen und von brasilianischen und schweizerischen Archiven anzustossen, um die Möglichkeiten einer Nutzung und Vermittlung von Archivbeständen sowie Grundlagen zur Behandlung spezifischer Eigentumsfragen bei der transkulturellen Dokumentation und Archivierung lebendigen Erbes zu schaffen. Basis dazu bilden Ansätze kollaborativer, diversitätssensibler Forschung, die in vielen wissenschaftlichen Bereichen zur Anwendung kommen und für die mit dem brasilianischen Projekt «Encontro de Saberes» («Wissen teilen») ein erfolgreiches Modell besteht; dieses Projekt zielt auf eine Inklusion afro-brasilianischer Spezialist*innen (auch ohne akademische Ausbildung), die ihre Wissenssysteme an Hochschulen vermitteln und junge Afro-Brasilianer:innen zur universitären Erforschung ihrer eigenen Kultur anregen.
Im vorliegenden Projekt werden in zwei Workshops mit afro-brasilianischen und schweizerischen Forschenden sowie Vertreter:innen von Archiven ein Entwurf für ethische Richtlinien für Archive und ihre Forschungstätigkeit erarbeitet, die den Umgang mit Tonaufnahmen, den Zugang zu diesen und die Vermittlung ansprechen. Dabei werden auch Möglichkeiten für Kollaborationen zwischen Archiven in Brasilien und in der Schweiz erörtert.