In Wohnhochhäusern leben viele Menschen zusammen. Wenn es also gelingt, hier mit gezielten Massnahmen die Lebensqualität zu fördern, so wirkt sich das auch auf viele Menschen aus. Fachleute aus verschiedenen Departementen der Hochschule Luzern widmeten sich in einem gemeinsamen, von Innosuisse geförderten Projekt deshalb der Frage, was ein Hochhaus sozial nachhaltig macht. Aus der Untersuchung von architektonischen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekten entwickelten sie Planungs- und Handlungsempfehlungen für Gemeinden, Investorinnen und Investoren sowie Immobilienfirmen. Das Projekt wird von Innosuisse und vom Interdisziplinären Themencluster (ITC) «Raum und Gesellschaft» gefördert, mit dem die HSLU das Fachwissen von Forschenden über die Departementsgrenzen hinweg bündelt.
Was aber soll man sich unter einem sozial nachhaltigen Hochhaus vorstellen? Projektinitiator Alex Willener fasst das breite Thema zusammen: «Es bietet sowohl eine hohe individuelle als auch kollektive Lebensqualität und hat das gemeinschaftliche Zusammenleben heute und für künftige Generationen im Blick.» Damit es dies erfüllen könne, müsse das Gebäude über seine gesamte Lebensdauer für möglichst viele Menschen – nicht nur für die Bewohnerinnen und Bewohner – von Nutzen sein, ihren sozialen Zusammenhalt fördern, einen gesellschaftlichen und baukulturellen Mehrwert für das städtische Umfeld erbringen, wirtschaftlich tragbar sein und auch Lebensraum für künftige Generationen bieten.
Standort – ein Geben und Nehmen
Immobilienfachleute erklären gerne, dass drei Faktoren für die Qualität eines Gebäudes – wahlweise auch für dessen Rentabilität – verantwortlich seien: Lage, Lage und Lage. Dies gilt auch für ein Hochhaus. In den oberen Stockwerken mag man sich dem Quartier unten weit entrückt fühlen. Sobald man aber den Risottoreis für die Einladung am Abend vergessen hat, ist man froh um eine Einkaufsmöglichkeit in der Nähe. «Ein Wohnhochhaus kann eigentlich nur dann sozial nachhaltig sein, wenn sein Standort für Bewohnerinnen und Bewohner in unterschiedlichen Lebenslagen leicht erreichbar ist – also mit dem öffentlichen Verkehr so gut wie im eigenen Auto, mit dem Kinderwagen genauso wie mit dem Rollator», sagt Alexa Bodammer aus Perspektive Städtebau. Im näheren Umfeld, betont sie, sollen die Wegverbindungen auf den Langsamverkehr ausgerichtet sein. So muss man beispielsweise für besagten Risotto nicht ins Auto steigen oder auf den Bus warten.
Das Gebäude – das ja seine Umgebung markant prägt – soll jedoch nicht nur von der Infrastruktur der Umgebung profitieren, sondern der Umgebung seinerseits etwas zurückgeben. «Das können entweder Räume für Dienstleistungen wie Arztpraxen oder Kinderkrippen sein, aber auch Geschäfte oder soziale Strukturen wie ein Quartiertreffpunkt. Wichtig ist, dass sie den Bedürfnissen des Quartiers entgegenkommen», ergänzt Soziologin und Co-Projektleiterin Meike Müller.
Gleichgesinnte oder seine Ruhe finden
Hier eine frischgebackene Familie, dort eine Senioren-WG und dazwischen eine Studentin mit ausgeprägtem Nachtleben – wo viele Menschen leben, treffen auch verschiedene Lebensstile, Erwartungen und Haltungen aufeinander. «Wir empfehlen, das Zusammenleben einerseits schon bei der Planung mitzudenken und andererseits auch, es dann im Betrieb zu fördern», sagt Müller. Die grosse Anzahl von Menschen im Hochhaus mache zum Beispiel die Chance grösser, dass sich Gleichgesinnte unter den Bewohnenden finden – aber möglicherweise brauche es eben eine Plattform, damit sie sich überhaupt begegnen. «Genossenschaften haben damit viel Erfahrung, von ihnen kann man lernen, dass entsprechende Mitwirkungsgefässe sowie Siedlungscoachs oder Hauswartinnen und Hauswarte, die sich nicht nur um technische, sondern auch um soziale Belange kümmern, das Zusammenleben positiv beeinflussen können», ergänzt Meike Müller. Wichtig sei aber, dass die Mitwirkung freiwillig ist: Die Umfrage hat auch gezeigt, dass es Menschen gibt, die gerade die Möglichkeit der Anonymität im Hochhaus zu schätzen wissen.
Planen für das hohe (Gebäude)Alter
Der Bau eines Hochhauses ist teurer als das Bauen in der Horizontalen und auch ressourcenmässig aufwändiger. Damit die Rechnung finanziell und ökologisch aufgeht, muss das Hochhaus auf eine lange Lebensdauer ausgerichtet sein. Werden die verschiedenen Bauteile so verarbeitet, dass sie problemlos voneinander getrennt werden können, lassen sich die kurzlebigeren Teile wie zum Beispiel die Gebäudetechnik mit weniger Aufwand ersetzen. Aber auch die Nutzung verändert sich über die Jahrzehnte möglicherweise stark: «Wie sich eine Stadt und die Struktur der Bewohnerinnen und Bewohner in dreissig oder gar siebzig Jahren entwickeln wird, lässt sich nicht vorhersagen», betont Alexa Bodammer. Deshalb gelte für Hochhäuser noch mehr als für weniger aufwändige Gebäude, dass sie sich über die Zeit verschiedenen Bedürfnissen anpassen können müssen. «Es empfiehlt sich daher, so zu bauen, dass zum Beispiel Räume mit relativ wenig Aufwand zusammengelegt oder unterteilt werden können.»
Dass Hochhäuser eine grosse Investition darstellen, hat eine weitere Folge: Die Versuchung wird grösser, die Kosten unbedacht durch günstige Materialien zu senken. Dies mindert Langlebigkeit und Wohnqualität jedoch deutlich. Deshalb empfehlen die Expertinnen und Experten, stattdessen auf vergünstigende Massnahmen wie modulares Bauen mit vorfabrizierten Teilen und serieller Fertigung zu setzen, die sich auch deshalb günstig auf die Baukosten auswirken, weil sie die Bauzeit verkürzen.
Das sind nur einige der Themen der Studie; die Handlungsempfehlungen für Planende schlüsseln sich in acht Themenfelder auf, die von der Erreichbarkeit über die Struktur der Bewohnerinnen und Bewohner bis hin zu Fragen der Identifikation reichen. «Vermutlich kann kein Gebäude alle Aspekte gleichermassen abdecken. Wichtig ist jedoch, dass man sich schon in einer frühen Planungsphase Gedanken darüber macht, worauf man Wert legt», sagt Müller. Die Handlungsempfehlungen sollen Planende dabei unterstützen.