Nicht allen machte der coronabedingte Digitalisierungsschub das Leben leichter. Gerade ältere Menschen, die bisher gut ohne Computer, Smartphone oder Tablet auskamen, drohten zurückzubleiben. Insbesondere während des Lockdowns wurde das Alleinsein ein zunehmendes Problem. Deshalb beschlossen das iHomeLab der Hochschule Luzern, die Anlaufstelle Alter der Stadt Luzern und der Verein Vicino im vergangenen Sommer, ein Pilotprojekt mit «Anne Light» auszubauen. «Es handelt sich dabei um ein Tablet mit Videofunktion, das nur wenige Funktionen anbietet. Dadurch ist es auch für Personen ohne Erfahrung mit der digitalen Welt leicht zu bedienen», erklärt Andrew Paice, der Leiter des iHomeLabs der Hochschule Luzern. Das Tablet verfügt über eine Sprachfunktion und ein virtuelles Gesicht. So entsteht der Eindruck einer persönlicheren Kommunikation, was den Zugang erleichtert. «Datenschutz war ein wichtiges Thema in dem Projekt», ergänzt Paice. «Deshalb sind alle Daten lokal gespeichert.» Das bedeutet, dass für einen Videoanruf auch das Gegenüber, also zum Beispiel die Familie eine «Anne light» braucht, damit die Kommunikation funktioniert. Dieses Tablet boten die drei Institutionen älteren Menschen in Luzern an, um so einer durch den Lockdown drohenden Vereinsamung entgegenzuwirken.
Besserer Kontakt dank «Anne»
Michaela Christ, Projektleiterin Forschung bei Vicino, bestätigt, dass «Anne Light» den Kontakt zwischen den Standortleitungen der Quartiere und den älteren Menschen unterstützte, gerade in der Zeit des Lockdowns. Dank der Möglichkeit von Videogesprächen konnten die Standortleitungen ein besseres Gefühl dafür entwickeln, wie es der Person tatsächlich geht. Michaela Christ erinnert sich: «Die Leute gaben uns manchmal Einblicke in ihre Wohnungen; wir konnten so sehen, ob sie auf sich aufpassen oder ob sie anfangen, sich und die Wohnung zu vernachlässigen und zum Beispiel die Blumen nicht mehr giessen.»
«Anne» als Einstieg ins Leben mit Smartphone
Auch wenn das Tablet leicht zu handhaben ist, bereitete es manchmal technische Schwierigkeiten, sei es bei der Inbetriebnahme oder beim Aufstarten nach einem Update. Eine Ansprechperson bei Vicino in Sachen «Anne» war deshalb zentral. Für einige Testpersonen sei die plötzliche Anwesenheit einer virtuellen Assistentin befremdlich gewesen, andere hätten sich darüber amüsiert und mit ihr «gesprochen», auch wenn «Anne» keine «normalen» Gespräche führen kann. Einzelne Personen liessen sich von «Anne» an die Medikamenteneinnahme erinnern und wagten sich gar an die anfangs nicht aktivierte Funktion der Spiele. Für eine Frau war «Anne» der Einstieg in die digitale Welt. Sie nützt mittlerweile ein normales Tablet.
An der «Person» von «Anne» schieden sich die Geister. Manche mochten sie, anderen empfanden sie als hart oder kühl. Die Standortleitungen versuchten auch, verschiedene Personen, die eine «Anne» im Haus hatten, zu vernetzen. «Das ging dann, wenn sich die Leute schon vorher kannten, sonst war es schwierig – genauso, wie es ja auch schwierig ist, jemanden via Zoom kennenzulernen», sagt Michaela Christ von Vicino.
Was Christ beobachtet hat, bestätigt auch die Forschung des iHomeLabs im Rahmen des internationalen Programms Active Assisted Living, in dessen Rahmen auch «Anne light» entwickelt worden ist. Ein zusätzliches Projekt untersuchte in Holland, Polen, Rumänien und der Schweiz, unter welchen Umständen digitale Assistenten von älteren Menschen akzeptiert werden. Insbesondere wollten die Forscher wissen, ob sich ein Mehrwert ergibt, wenn mehrere bestehende Systeme für ältere Menschen kombiniert werden. Die wichtigste Erkenntnis: «Die Akzeptanz ist dann hoch, wenn die Assistenten möglichst genau auf die jeweiligen Bedürfnisse einer Person zugeschnitten sind», fasst Andrew Paice vom iHomeLab zusammen. Ein Gemischtwarenladen auf dem Tablet hat zwar mehr im Angebot, wird aber weniger genützt.
Forschung im Bereich Active Assisted Living
Active Assisted Living (AAL) will älteren Menschen mit unterstützenden Technologien dabei helfen, so lange als möglich selbständig zu leben. Das iHomeLab entwickelt im Rahmen dieses Forschungsprogramms mit Partnern aus ganz Europa einfach bedienbare und zuverlässige Assistenzsysteme, die sich den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer anpassen und ihre Privatsphäre gewährleisten. Das erhöht die Lebensqualität von älteren Menschen und reduziert gleichzeitig den Stress für betreuende Angehörige und Pflegedienstleister. Zudem zahlt sich AAL ökonomisch aus: Wer länger zuhause wohnt, verursacht weniger Kosten und hat weniger Ausgaben. Die Ergebnisse der Forschung können im iHomeLab Visitorcenter im Rahmen einer Führung besichtigt werden.