Mehr als 20 Prozent der Schweizer Haushalte nutzen aktuellen Schätzungen zufolge sogenannte Sprachassistenten wie Alexa, Siri oder Google Home – Tendenz steigend. Die Zahlen überraschen Sabine Junginger von der Hochschule Luzern nicht. «Sprache als Schnittstelle ermöglicht uns Menschen einen viel intuitiveren Umgang mit Maschinen als Tastatur und Bildschirm», sagt die Leiterin der Forschungsgruppe Design & Management. Sie rechnet daher mit einer anhaltend raschen Verbreitung der Technologie.
Trotz der wachsenden Popularität der Sprachassistenten wurden die individuellen und sozialen Folgen ihres Vordringens in unseren Alltag wissenschaftlich bisher kaum erforscht. Abhilfe soll «Voice Assistants – People, Experiences, Practices, Routines» (VA-PEPR) schaffen, ein interdisziplinäres Forschungsprojekt unter der Leitung von Sabine Junginger und Jens Meissner, Experte für Organisationsentwicklung und Risikomanagement an der Hochschule Luzern.
Um das Phänomen Sprachassistent aus den verschiedensten Blickwinkeln zu untersuchen, vereint VA-PEPR die Expertise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Informatik, Ökonomie, Design, Rechtswissenschaften sowie Ethnographie. Es ist in drei Teile mit jeweils unterschiedlichem thematischem Fokus aufgegliedert:
- 2021 startet eine ethnografische Studie. Das VA-PEPR-Team stattet dazu mindestens 20 Haushalte – ob Familien oder WGs – mit Sprachassistenten aus und dokumentiert, wie sich die Geräte auf das Zusammenleben auswirken. «Wir stellen ganz grundlegende Fragen», erläutert Sabine Junginger: «Wozu benutzen wir solche Geräte, und wie verändern diese unsere täglichen Routinen? Also zum Beispiel: Fangen Eltern an, ihre Kinder via Sprachassistent zu Tisch zu rufen?»
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tragen ihre Erlebnisse mit dem Gerät in ein elektronisches Tagebuch ein, das Forschende der Departemente Soziale Arbeit und Informatik der Hochschule Luzern entwickeln. Das Forschungsteam misst ausserdem auch den Datenverkehr, den der Sprachassistent verursacht. Die vertrauliche Behandlung der erhobenen Daten ist dabei ein wichtiger Bestandteil des Studiendesigns.
- Ab 2022 nehmen die Probandinnen und Probanden der Studie an Design-Workshops teil, wo sie über ihre Erfahrungen berichten und Erwartungen formulieren, wie Sprachassistenten gestaltet sein müssen, um für sie im Alltag nützlich zu sein – aber auch, was die Geräte auf keinen Fall machen dürfen. Ein Thema der Workshops ist auch die Bedienung: Bei einer Pilotstudie stellte das VA-PEPR-Team fest, dass bereits die Inbetriebnahme eines Sprachassistenten ein oft kompliziertes und wenig intuitives Verfahren ist.
- Die Ergebnisse werden 2023 in Leitlinien und Empfehlungen für die Entwicklung, Gestaltung und den Einsatz von Sprachassistenten umgesetzt. Sie sollen nicht zuletzt Hinweise zu Fragen der gesetzlichen Regulierung liefern, insbesondere in Sachen Schutz der Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer.
«Die Logs, also die Aufzeichnungen, die ein Sprachassistent macht, landen heute auf den Servern der jeweiligen Herstellerfirmen», sagt Sabine Junginger. Die Umstände, unter welchen Nutzerinnen und Nutzer Einsicht in diese Logs erhalten dürfen, seien bis dato aber schlecht geregelt. Das VA-PEPR-Team möchte daher für diesen Bereich rechtliche Empfehlungen abgeben.
SNF fördert Projekt mit über 2 Millionen Franken
VA-PEPR entstand aus einem Vorprojekt im Rahmen des Interdisziplinären Themenclusters (ITC) Digitale Transformation der Arbeitswelt. Mit den ITCs bündelt die Hochschule Luzern Expertisen von Forschenden über die Departementsgrenzen hinweg. Beteiligt sind die Departemente Design & Kunst, Wirtschaft, Soziale Arbeit und Informatik.
Weiter nehmen auch Forschende der OST – Ostschweizer Fachhochschule und der University of Northumbria (GB) sowie Expertinnen und Experten der US-Stiftung Mozilla Foundation mit Sitz in Berlin am Projekt teil.
Der Schweizerische Nationalfonds SNF fördert VA-PEPR bis 2023 mit einem Sinergia-Grant in der Höhe von 2.23 Millionen Franken. Die Grants wurden speziell für interdisziplinäre Forschungsprojekte entwickelt.
Interview: «Vielleicht behandeln wir Sprachassistenten bald wie Haustiere»