In Zentren für Asylsuchende treffen begleitete und unbegleitete Kinder und Jugendliche verschiedener Altersstufen und Muttersprachen auf einander. Sie haben in der Schweiz nicht nur ein Recht darauf zu lernen, sondern sind im Hinblick auf ihre persönliche Entwicklung auch darauf angewiesen. Die Verantwortung dafür, dass der Schulbesuch möglich ist, liegt bei den Kantonen, die die Durchgangszentren betreiben. Die Kinder und Jugendlichen in bestehenden Schulklassen der Standortgemeinden unterzubringen ist oft nicht möglich und in den Zentren fehlt es vielerorts an geeigneten Räumlichkeiten für den Unterricht. Das Projekt «Cities, Refugees & Kids – modulare Lernwelten für geflüchtete Kinder» des Kompetenzzentrums für Typologie & Planung in Architektur (CCTP) der Hochschule Luzern geht deshalb neue Wege: Es schafft in den Asyl- und Durchgangszentren neue Lern- und Spielräume und bietet dadurch Rückzugsmöglichkeiten, die kindergerecht gestaltet und eingerichtet sind.
Holz in Container
Hauptbestandteile der Lernwelt sind die hölzernen Innenausbauten mit Stauraum auf allen Raumseiten. Sie bieten Platz für unterschiedliches Mobiliar, das in modularer Weise zusammengestellt und in unterschiedlichen Settings genutzt werden kann. So stehen Tische, Bänke, Hocker, Sitzkissen, Toolboxen, aber auch fest eingebaute Elemente wie Sitznischen, Schreibflächen oder Arbeitsplätze zur Verfügung. Die natürliche Oberfläche des Holzes, vielfältige textile Elemente sowie dimmbares Licht geben dem Raum Wärme und lassen unterschiedliche Atmosphären generieren. Da Anzahl und Alter der Kinder häufig wechseln, ist die Anpassungsfähigkeit des Raumes umso wichtiger.
«Von konzentrierten Einzelarbeiten über Gruppenunterricht bis hin zu ruhigen Beschäftigungen oder aktiven Bewegungsspielen ist alles möglich», beschreibt Peter Schwehr, der das Projekt geleitet und gemeinsam mit Selina Lutz entwickelt und umgesetzt hat. In den Wänden lässt sich versorgen, was gerade nicht gebraucht wird. Alles ist flexibel konzipiert und kann den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend im Raum zusammengestellt werden. Untergebracht sind die Lernwelten in einem Container. Schwehr erklärt, weshalb: «Container gibt es überall, sie sind verhältnismässig günstig, weltweit leicht zu beschaffen und lassen sich im Vollausbau transportieren. Dies ist wichtig, denn die Lernwelten sind für die Anwendung in Europa und – mit Anpassungen – auf der ganzen Welt konzipiert.» Das Konzept für die Anwendung sieht jeweils eine Herstellung der Innenausstattung durch lokale Betriebe vor, mit Holz aus der Region und wenn möglich unter Mitwirkung der Kinder und Jugendlichen aus den Zentren. Die standardisierte Grösse des Containers macht das Konzept leicht adaptierbar.
Hilfe bei der Integration
«Motirõ» heisst die erste Pilotumsetzung der modularen Lernwelten. Sie wurde vom CCTP in enger Zusammenarbeit mit dem kantonalen Amt für Migration entwickelt, geplant, realisiert und am Samstag an einem Tag der offenen Tür vorgestellt. Amtsvorsteher Markus Blättler erklärt, warum die Lernwelten gerade jetzt besonders wichtig sind: «Im Vergleich zu früher sind seit diesem Jahr nur noch Personen bei uns, die einen Bleibestatus haben oder ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit erhalten werden. Das bedeutet, dass wir in den Durchgangszentren praktisch alle Personen auf eine Integration vorbereiten müssen.»
Pilotumsetzung jetzt in Betrieb
Die Realisierung des Pilotprojektes ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer Reihe von angestrebten Umsetzungen in der Schweiz und im angrenzenden Ausland. In den oftmals beengten Wohn- und Lebensverhältnissen in den Flüchtlingslagern weltweit, aber auch in Asyl- und Durchgangszentren in der Schweiz, ist konzentriertes Lernen oft nur bedingt möglich. Dabei wäre der lückenlose Zugang zu Bildung gerade für geflüchtete Kinder besonders wichtig, erleichtert er doch nicht nur ihren späteren beruflichen Werdegang, sondern auch die längerfristige Integration.
Das CCTP der Hochschule Luzern konzipierte in Zusammenarbeit mit der Schreinerei des Institutes Architektur den gesamten Innenausbau. Ziel war es, für die Benutzung der Lernmodule und deren Einbauten eine Anleitung «à la IKEA» zu erstellen. Das CCTP zeichnete für den «Leitfaden Raum» verantwortlich, der die Erfordernisse eines Lern- und Spielraumes für Flüchtlingskinder in seiner typologischen und baulichen Gestalt beschreibt. Die Projektpartnerin Save the Children Schweiz beschreibt im «Leitfaden Pädagogik» spezifische Voraussetzungen für die Kinderbetreuung in den Lernwelten. Aufgrund dieser beiden Wissenssammlungen wird die Caritas Schweiz, die im Durchgangszentrum Biberbrugg für den Betrieb der Lernwelten zuständig ist, den «Leitfaden Betrieb» erstellen.
Breite Nutzungsmöglichkeiten
Durch die flexible Gestaltung ist die Nutzung der Räumlichkeiten auch über ihren primären Zweck hinaus möglich. So können sie beispielsweise zu bestimmten Zeiten öffentlich zugänglich sein, von ortsansässigen Kitas genutzt werden oder ausserhalb der Unterrichtszeiten für andere interne und externe Veranstaltungen Raum bieten. Dies fördert den nachbarschaftlichen Kontakt und festigt die Vernetzung der Kinder in der Umgebung.
Ein zukunftsfähiges Projekt braucht Unterstützung von vielen Seiten
Das Projekt erhielt Zuspruch und Unterstützung von vielen Seiten. Die Pilotumsetzung konnte im Durchgangszentrum Biberhof zusammen mit dem Amt für Migration des Volkswirtschaftsdepartementes Kanton Schwyz und der Caritas Schweiz als Betreiber des Zentrums realisiert werden. Save the Children Schweiz begleitete das Projekt fachlich aus Sicht des Kinderschutzes, als es galt, unter Wahrung der Kinderrechte die Voraussetzungen für die Kinderbetreuung der Lernwelten zu definieren. Finanzielle oder sachbezogene Unterstützung für die Konzeption und die Umsetzung am Pilotstandort gewährten unterschiedliche Institutionen wie die U.W. Linsi-Stiftung, die Paul-Schiller-Stiftung, die Stiftung zur Förderung der Hochschule Luzern Technik & Architektur, die Katholischen Kirche Stadt Zug, die Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft und die Création Baumann AG.