Richtig saniert ist halb gewonnen
Sanierungen sind wichtig, um den Energieverbrauch zu senken. Wenn nicht deutlich mehr Gebäude saniert werden, kann die Schweiz die Energieziele für 2050 nicht erreichen. Gleichzeitig bedeuten sie jedoch eine grosse Investition. Die Hochschule Luzern hat die wichtigsten Faktoren herausgearbeitet, damit eine Sanierung gelingt und institutionelle Investoren das Thema anpacken.
Dreissigjährige Häuser werden in Tokio oft abgerissen und durch neue ersetzt. Ein Neubau lässt sich anschliessend nach den aktuellsten Erkenntnissen in Sachen Energietechnik und – in Japan sehr wichtig – Erdbebensicherheit erstellen. In der Schweiz hingegen wird ein dreissigjähriges Haus mit grosser Wahrscheinlichkeit saniert. «Die Bauqualität in der Schweiz ist deutlich höher. So bestehen zum Beispiel Zwischenwände in Japan häufig einfach aus festem Papier», sagt Marvin King vom Institut für Gebäudetechnik und Energie (IGE) der Hochschule Luzern. «Für die Materialien eines Neubaus wird in der Schweiz wesentlich mehr Energie aufgewendet. Deshalb ergibt Sanieren bei uns energetisch und wirtschaftlich auf jeden Fall mehr Sinn.»
Doppelt so viele Gebäude sanieren
Der Bundesrat will bis ins Jahr 2050 den Energieverbrauch deutlich senken. Das setzt Anstrengungen in vielen Bereichen voraus: bei der Industrie, der Mobilität oder den Gebäuden. Letztere verursachen in der Schweiz etwa die Hälfte des Energieverbrauchs. Neubauten haben mittlerweile einen sehr hohen energetischen Standard. Dadurch rücken die älteren Häuser und die Frage nach Sanierungsmöglichkeiten vermehrt in den Blick des Bundesamtes für Energie. Hier setzt das Projekt «SaNuInvest» an. «In der Schweiz werden zu wenig Gebäude saniert», sagt Marvin King. «Es müssten doppelt so viele sein, um die Energieziele des Bundes zu erreichen.»
Der Bund kann zwar diese Vorgaben machen und Sanierungen auch unterstützen, erzwingen kann er sie jedoch nicht. Deshalb unterstützte das Bundesamt für Energie BFE das Projekt SaNuInvest, bei dem das IGE und das Institut für Finanzdienstleistungen IFZ der Hochschule Luzern eng mit Akteuren im Immobilienmarkt zusammenarbeiteten.
Besitzer von grossen Gebäudeparks erreichen
SaNuInvest beleuchtet die Sicht institutioneller Investoren, unter anderem von Pensionskassen, Städten und Gemeinden sowie Grossunternehmen. Projektleiter Marvin King erklärt: «Diese besitzen etwa die Hälfte der Gebäude in der Schweiz. Zudem sind sie leichter zu erreichen als die Besitzerinnen und Besitzer von Einfamilienhäusern.»
Auch Rolf Moser, Leiter des BFE-Forschungsprogramms Gebäude und Städte, bestätigt: «Die Motivation und die Kenntnisse professioneller Investoren sind definitiv ein Schlüsselfaktor, um Energieanliegen umzusetzen». In Workshops und Einzelinterviews sowie einer Konferenz mit Projektentwicklern, Bauherren, Betreibern und anderen Fachexperten und -expertinnen analysierte das Projektteam zunächst, was institutionelle Investoren davon abhält, ihre Immobilien zu sanieren, und was sie motivieren könnte. In einem zweiten Schritt erstellten sie einen Leitfaden, wie Sanierungen anzugehen sind, damit sie ein Erfolg werden.
Die Motivation professioneller Investoren ist bei Energieanliegen entscheidend.
Mehr als Dämmung
Auch wenn letztlich Energieeinsparung das Ziel der Sanierungen sein soll, weitet SaNuInvest die Perspektive auf das Thema aus. «Es geht nicht um zehn Zentimeter mehr Fassadendämmung oder darum, wie das Dach isoliert wird», sagt Marvin King. «Für uns standen baukulturelle und wirtschaftliche Themen im Vordergrund.» Pensionskassen und Behörden, zum Beispiel Hochbauämter, haben unterschiedliche Motive für eine Sanierung – die einen wollen das Geld der Versicherten mit Gewinn anlegen, die anderen günstigen Wohnraum erhalten.
Dennoch haben sie mit einer ähnlichen Ausgangssituation zu kämpfen: Neubauten haben heute einen sehr hohen Standard, ältere und nicht sanierte Wohnungen lassen sich daher schwerer vermieten. Vor diesem Hintergrund drängen sich folgende Fragen auf: Wann ist es sinnvoll, alte Gebäude zu erhalten? Wie schafft man Gebäude, die über einen möglichst langen Zeitraum für ihre Bewohnerinnen und Bewohner eine hohe Qualität bieten? Wie flexibel nutzbar muss ein Gebäude sein? Und welche Auswirkungen hat das alles auf die Rendite?
Komplexität als Hemmschwelle
Bei all diesen Fragen erstaunt es nicht, dass ein Teil der Investoren zögert, Sanierungen anzugehen. Zumal es um hohe Investitionssummen geht. «Vielen Eigentümern ist nicht bewusst», so Marvin King, «dass die Erstellung nur 20 Prozent der gesamten Kosten, die ein Gebäude über seine Lebenszeit hinweg verursacht, ausmacht.»
Der Grossteil entfällt auf die Unterhaltskosten, welche über die Jahrzehnte zum Beispiel durch Instandhaltung wie Reinigung und Wartung, Instandsetzung und schliesslich durch den Rückbau entstehen. Das Verhältnis zwischen den Kosten für die Erstellung zu jenen für den Betrieb eines Gebäudes lässt sich verschieben. Die Gesamtkosten können durch Entscheidungen in frühen Planungsphasen vor dem Bau gesenkt werden.
Von welch enormer Komplexität solche langfristigen Planungen sind, zeigt das Grundlagendokument zur Anwendung und Ermittlung von Lebenszykluskosten des Hochbaudepartements der Stadt Zürich: Es umfasst 134 Seiten.
Bei der Gebäudetechnik sind Low-Tech oder sogar No-Tech das neue High-Tech.
Zwei Beispiele dafür, welche Folgen früh getroffene Entscheidungen haben können: Eine geringe Raumhöhe ermöglicht ein Stockwerk mehr, was mehr Mieteinnahmen bringt. So weit, so klar. Doch die Raumhöhe wirkt sich auf die Atmosphäre und Qualität eines Raumes aus – Faktoren, für die Mieterinnen und Mieter bereit sind, mehr zu bezahlen. Die niedrigeren Räume müssen deshalb billiger vermietet werden. Hier gilt es also sorgfältig abzuwägen. Auch die Qualität der Materialien hat langfristige Kostenfolgen: Ist sie hoch, bedeutet dies eine grössere Investition. Aber hochwertige Materialien haben eine längere Lebensdauer, unter anderem, weil Bewohnerinnen und Bewohner damit sorgfältiger umgehen.
Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche Sanierung
Damit die Komplexität angemessen berücksichtigt werden kann, hat das Projektteam die wichtigsten Faktoren für eine erfolgreiche Sanierung herauskristallisiert – eine Checkliste, die es erleichtert, die wichtigsten Punkte von Anfang an mit einzuplanen. Sie soll zum Sanieren motivieren, indem sie die Hemmschwelle abbaut.
Fünf wesentliche Faktoren tragen dazu bei, dass eine Sanierung auch in den folgenden Jahrzehnten als erfolgreich betrachtet werden kann.
- An erster Stelle steht ein klares Pflichtenheft, das Ziele, Rahmenbedingungen und die Organisation festlegt und klärt, wer für was verantwortlich ist. Dazu gehört die Einhaltung der Richtlinien des Energiekonzepts und die angestrebte Ökobilanz, das Raumprogramm, die Bauphysik, Materialien, Gebäudeautomation und Verkehrskonzept. Was als selbstverständlich erscheint, ist laut Marvin King erstaunlich häufig nicht oder unzureichend vorhanden. Er vergleicht das Pflichtenheft mit der Checkliste eines Piloten: «Jeder Pilot kann fliegen, aber er geht trotzdem vor dem Abflug die ganze Checkliste durch.»
- An zweiter Stelle stehen Entscheidungen in Bezug auf die architektonische Qualität. Die Entscheidung für eine hohe Qualität hat Auswirkungen sowohl auf die Erstellungskosten, die höher ausfallen, als auch auf die Betriebskosten, die nur schon deshalb niedriger sind, weil eine attraktive Immobilie teurer vermietet werden kann. Darüber hinaus wird der Nutzungszyklus verlängert und Mieterwechsel sind in qualitativ hochwertigen Gebäuden seltener.
- Drittens müssen schliesslich Fragen der Gebäudetechnik geklärt sein. «Low- Tech oder sogar No-Tech ist das neue High-Tech», fasst Marvin King die Ergebnisse zusammen. Denn je weniger Technik eingebaut ist, umso geringer sind die Unterhaltskosten. In den letzten Jahren wurden die Gebäude mit immer komplexerer Technik ausgerüstet, um energetische Anforderungen einzuhalten oder um einen höheren Komfort zu erreichen. Rolf Moser vom Bundesamt für Energie sagt: «Das Thema Low-Tech ist bei uns aufgrund der Workshops stärker in den Vordergrund gerückt und wird Eingang in aktuelle Ausschreibungen finden.»
- Schliesslich sind Verarbeitung und Ausführungsqualität sowie der laufende Unterhalt zu berücksichtigen.
Die grundlegenden Entscheidungen liegen nach wie vor bei der Bauherrschaft, sagt Marvin King: «Sie muss bestimmen, wie sie ein Objekt nützen will und wie viel Flexibilität für zukünftige nachhaltige Nutzungen möglich sein soll. Wir hoffen, dass die Erkenntnisse unseres Projekts zur Werterhaltung von Immobilien in der Schweiz beitragen.»
Hier geht es zum Interview mit Hans-Urs Baumann, Kantonsbaumeister Luzern
Autorin: Senta van de Weetering
Fotos: Istockphoto; Grafik: Hochschule Luzern
Energieforschung zu allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen
Energie berührt unser ganzes Leben. Entsprechend breit ist die Forschung der Hochschule Luzern zu diesem Thema: Die Projekte reichen von der Verringerung des Energieverbrauchs über die Entwicklung neuer Technologien bis zur Untersuchung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen wie Nutzerverhalten und Akzeptanz. Sie befassen sich etwa mit Fragen der Wirtschaftlichkeit, der Speichermöglichkeiten und Gebäudesimulationen, mit intelligenten Netzen oder mit der Motivation für die Verwendung erneuerbarer Energien.
Eine grosse Rolle spielen dabei disziplinenübergreifende Projekte. Damit forscht die Hochschule Luzern auch für die Ziele der Energiestrategie des Bundes. Diese sieht vor, bis ins Jahr 2050 den Energieverbrauch deutlich zu reduzieren, den Anteil der erneuerbaren Energien zu erhöhen und die energiebedingten CO2-Emissionen zu senken. Dazu engagiert sich die Hochschule Luzern in den SCCER Swiss Competence Centers for Energy Research. Breit ist auch das Spektrum der Forschungspartner: Es reicht von Start-ups über Industriepartner und Universitäten bis hin zu Bundesämtern.
www.hslu.ch/energieforschung
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Schwerpunkt: (Un)erschöpfliche Energie