Die Sopran-Arie in Mozarts c-Moll-Messe macht Gänsehaut. Bei treibender Rockgitarre wippt man unweigerlich mit und eine melancholische Geige weckt Wehmut. «Musik bewegt die Menschen», sagt Marcel Vonesch, Dozent am Departement Musik der Hochschule Luzern. Jeder pflegt seine ganz persönliche Hitliste, die er auf dem Smartphone bei sich hat. Seine Top Ten lädt man herunter, hört sie auf Youtube oder über Streamingdienste wie Spotify und Deezer. Musikgenuss findet heute digital und online statt. «Das ist praktisch für das Publikum, aber eine riesige Herausforderung für die Profimusiker», so Vonesch. Mit den Songs werden auch sie ins Internet katapultiert, wo ihre Musik angeklickt, geliked, gekauft oder kritisiert wird. Und hier wartet auch eine neue Aufgabe auf sie, die ihren Alltag markant verändert hat: die Selbstvermarktung.
«Zwei bis drei Stunden pro Woche investieren Profimusiker in ihre Präsenz in den sozialen Medien», schätzt Marcel Vonesch. Genreübergreifend von der Folksängerin über den Jazz-Gitarristen bis zur Orchester-Cellistin. «Letztere vielleicht etwas weniger.» Der Musikdozent muss es wissen: Er ist Gitarrist und lehrt die Musikstudierenden bereits im Grundstudium, wie und wo der Computer im Musikbereich überall eingesetzt werden kann.
Keine verlorene Zeit
Über Facebook, Youtube und Co. kündigen die Künstlerinnen und Künstler Konzerte an, posten Bilder von ihren Gigs und sind in Kontakt mit ihren Fans. Eine Arbeit, die gemäss Marcel Vonesch aber nicht alle gleichermassen begeistert. «Etwa 40 Prozent unserer Musikstudierenden sind sehr an diesen digitalen Möglichkeiten interessiert, 10 Prozent stehen ihnen offen gegenüber und für 50 Prozent sind sie eher ein notwendiges Übel.» Ein «Übel», das der Musikdozent vielmehr als Chance sieht. «Der Künstler muss das Marketing zwar selber anpacken, kann sich dafür aber genau so darstellen, wie er will.»
Doch fehlen die Stunden in den sozialen Medien nicht für das kreative Schaffen? Vonesch denkt anders. Die Investition ins Marketing fliesse ja vielleicht auch in den künstlerischen Prozess ein. «Betrachtet man das eigene Produkt aus verschiedenen Perspektiven – musikalisch, crossmedial, marktbezogen – kann dadurch sogar ein besseres entstehen.»
Das digitale Musikbusiness bietet noch mehr: Jeder Musiker kann heute seine Songs selbst verkaufen. Er muss nicht mehr darauf warten, von einer Produktionsfirma entdeckt zu werden, sondern lädt seine Musik auf Spotify oder iTunes hoch. «Das ist gerade für unbekanntere Künstlerinnen und Nachwuchsmusiker eine grosse Chance», ist Marcel Vonesch überzeugt. Im Moment würden zwar die Abgeltungen durch die Streamingdienste an die Künstler kritisiert und als zu niedrig taxiert. Der Musikexperte geht aber davon aus, dass Streaming bald über eine generelle «Flatrate» möglich wird, die für die gesamte Musik im Internet gilt. Das heisst: «Musik wird gegen eine Grundgebühr über den eigenen Internetzugang erhältlich sein. Die urheberrechtlichen Abgeltungen erfolgen dann idealerweise über eine unabhängige Institution.»
Mit Social Media muss ein Künstler sich zwar selbst vermarkten, dafür kann er sich so darstellen, wie er will.
Etwas bleibt gleich
Social Media, Streaming – wie prägt der digitale Fortschritt das Musikalische? Marcel Vonesch schickt vorweg: «Die Hauptaufgabe des Musikers bleibt das Spielen seines Instruments. » Spezifische Software vereinfachen aber bestimmte Abläufe, wie etwa Noten aufschreiben, Aufnahmen machen oder zu Hause üben. «Die Cellistin kann am Computer die Mozart-Symphonie ohne Cellostimme anwählen – und dazu ihre Saiten streichen», erklärt der Musikdozent.
Einige Musikerinnen und Musiker tauchen schliesslich ganz ins digitale Universum ein. «Sie produzieren künstliche Klänge und gestalten Töne, als eine Form ihres künstlerischen Selbstausdrucks», führt Vonesch aus. So hat etwa ein Student sein Schwyzer Örgeli mit dem Computer verkabelt und entlockt dem traditionellen Instrument nie gehörte Musik.
Die Hochschule hält mit
Laut Michael Kaufmann, Direktor des Departementes Musik, wird das Angebot zu musiktechnischen Themen in zukünftigen Studiengängen wohl noch mehr Platz beanspruchen. «Die Studierenden sollen bei uns ein umfassendes Rüstzeug für ihre künstlerische Aktivität erhalten.» Auch Dozierende sollen sich im digitalen Bereich weiterbilden. «Wir wollen auf allen Ebenen mit dem technologischen Fortschritt mithalten.» Ein «Digitalisierungsschub » entstehe auch durch das neue Gebäude des Departements Musik in Kriens, ab 2020 Heimat für rund 500 Studierende und 200 Mitarbeitende. «Die Musikräume sind digital verkabelt, eine zentrale Regie ermöglicht kreative Aufnahme- und Abspielvorgänge. Das erweitert die künstlerischen Möglichkeiten gigantisch», freut sich Kaufmann.
Marcel Vonesch sieht dem technischen Wandel gespannt, aber gelassen entgegen. Denn was immer komme, ob neue Medienformate, Plattformen oder Software – etwas verändere sich nie: «Die Wirkung, die Musik auf uns hat.»
Autorin: Bettina Jakob
Foto: Hochschule Luzern