Alt werden im Quartier
Fast eine halbe Million Menschen in der Schweiz sind über 80 Jahre alt. Die meisten wünschen sich, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu leben. Unterstützungsangebote von verschiedenen Seiten tragen dazu bei. Eine App, die das iHomeLab der Hochschule Luzern gemeinsam mit dem Verein Vicino Luzern entwickelt, soll die Anbieter besser vernetzen.
Damit alte Menschen möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben können, braucht es ein gutes Netzwerk.
Die Angebote von Vicino Luzern unterstützen Menschen dabei, dass sie zu Hause in ihrem Quartier alt werden können. Corinne Küng leitet den Standort Neustadtquartier.
Das Restaurant Tavolino ist für ältere Gäste ein beliebter Treffpunkt. Vicino veranstaltet hier wöchentlich einen Mittagstisch. Sandra De Angelis führt den Familienbetrieb.
Katja Wegmüller arbeitet in Luzern bei Pro Senectute, der grössten Dienstleistungsorganisation für ältere Menschen und ihre Angehörigen in der Schweiz.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Geschäften im Quartier sind für ältere Personen wichtige Ansprechpersonen. Susi Moos von Moos Hörgeräte ist im Neustadtquartier eine von ihnen.
Ivana Gavran arbeitet als Pflegefachfrau im Luzerner Neustadtquartier. Zu ihrer täglichen Runde gehört ein Besuch bei Frau Hugentobler, die seit dem Tod ihres Mannes alleine in einer kleinen Wohnung lebt. Der Spitex-Fachfrau fällt auf, dass ihre Klientin in letzter Zeit Schwierigkeiten hat, sie zu verstehen. Ob ein Hörgerät Abhilfe schaffen könnte? Eine Spezialistin oder ein Spezialist im Quartier wäre ideal. Für aufwändige Recherchen bleibt Ivana Gavran jedoch keine Zeit, die Spitex muss jede ihrer Leistungen genau verrechnen.
Alle relevanten Informationen auf einer Plattform
Dies ist der Moment für CABINET, eine an der Hochschule Luzern gemeinsam mit dem Verein Vicino Luzern entwickelte App. Ihr Ziel: die relevanten und nützlichen Informationen mit wenigen Klicks in einfacher Form zugänglich zu machen. Ginge es darum, möglichst viele Adressen zu erhalten, könnte Frau Gavran einfach Google aufrufen. Bei CABINET jedoch geht es nicht um die Menge an Information, sondern um ihre Qualität. Rolf Kistler, Entwicklungsverantwortlicher des Projektes am iHomeLab der Hochschule Luzern, weiss aus eigener Erfahrung, warum dies wichtig ist: «Als meine Mutter eine Physiotherapie benötigte, bekam ich von der Spitex einfach eine Liste mit Namen. Ich suchte jemanden, der nach Hause kommt. Auf der Liste war das jedoch nicht ersichtlich, so musste ich alle durchtelefonieren. Es ist klar, dass die Spitex keine Empfehlung machen darf, aber einfache Informationen wie Arbeitstage, Spezialgebiete oder eben die Bereitschaft, nach Hause zu kommen, hätten mir bei der Suche viel Zeit gespart.» Deshalb leitet sich bei CABINET jeder einzelne Eintrag von einem konkreten Fall im Quartier ab, der von Experten aufbereitet wird. Diese strikte Orientierung an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer ist es, die die App auszeichnet.
Die neu entwickelte App CABINET orientiert sich strikt an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer.
Gemeinsam für die Nachbarschaft
Die schweizweite Erfahrung zeigt, dass selbst bei den professionellen Dienstleistern oft wenig Wissen über andere Angebote im Quartier vorhanden ist. Deshalb ist die Vorgeschichte der App bemerkenswert: Im Luzerner Neustadtquartier haben sich die unterschiedlichsten Institutionen an einen Tisch gesetzt, um gemeinsam eine Verbesserung zu planen. In einem ersten Schritt richtet sich das Programm CABINET denn auch nicht an die älteren Menschen oder ihre Angehörigen direkt, sondern an die Mitarbeitenden der beteiligten Institutionen. Es sind dies neben vielen anderen die öffentliche Spitex, Pro Senectute, die katholische und die reformierte Kirche der Stadt Luzern, die Allgemeine Baugenossenschaft Luzern und die Caritas Luzern. Sie haben sich zum Verein Vicino Luzern zusammengeschlossen. Den Anstoss dafür gab 2013 ein Businessplan und 2015 die Masterarbeit «Wohnen zu Hause – auch im Alter. Eine strategische Handlungsanleitung», mit der Tamara Renner, Geschäftsleiterin der Spitex Stadt Luzern, ihre Weiterbildung «Altern und Gesellschaft» am Departement Soziale Arbeit der Hochschule Luzern abschloss.
Sie entwickelte darin das Konzept für ein Netzwerk, das sich nun im Luzerner Neustadtquartier konkretisiert hat. In den nächsten zehn Jahren sollen fünf weitere Standorte in Luzern aufgebaut werden. Auch auf Seiten der Hochschule Luzern arbeiten verschiedene Departemente zusammen an der Entwicklung von CABINET: Das Forschungsprojekt wird vom interdisziplinären Schwerpunkt «Kooperation Bau und Raum» unterstützt; beteiligt sind neben dem iHomeLab auch die Departemente Soziale Arbeit sowie Design & Kunst.
Das Neustadtquartier in Luzern bietet die idealen Rahmenbedingungen für unser Pilotprojekt mit der App.
Alle Institutionen in einem Verein
Geschäftsleiter des Vereins ist René Fuhrimann. Zu seinen Aufgaben gehörte der Aufbau des Pilotprojekts im Neustadtquartier. «Der Standort wurde bewusst gewählt», so Fuhrimann. «Hier ist die Infrastruktur vorhanden, die ältere Menschen brauchen, vom Lebensmittelgeschäft über die Apotheke bis zur Wäscherei. Auch engagiert sich die Allgemeine Baugenossenschaft Luzern stark für Wohnraum, der den Bedürfnissen älterer Menschen entgegenkommt. Ihr Neubau «Himmelrich 3» ist eine wichtige Grundlage für das Pilotprojekt.» Im Juni 2016 eröffnete der Verein im Bleichergärtli einen Quartiertreffpunkt in Form eines Holzpavillons. Er ist für alle offen, soll aber speziell für ältere Menschen das Leben im Quartier attraktiv machen und ihnen Hilfestellung bieten. Für die Entwicklung der App CABINET können die beteiligten Institutionen nun auf den Erfahrung, die sie im Kontakt mit den älteren Bewohnerinnen und Bewohnern des Quartiers gesammelt haben, aufbauen.
Das Netz ausbauen
Welche Orte sind für sie wichtig? Mit welchen Personen haben sie im Alltag Kontakt? Auf welche Angebote sind sie angewiesen? Die Gespräche zeigten, dass nicht nur die Infrastruktur wichtig ist – zum Beispiel eine Wäscherei oder Apotheke – sondern auch die Menschen, die dort arbeiten. So haben Hauswarte, Wäschereibesitzerinnen und Apotheker auf informelle Weise bereits am Netz gewoben, das die älteren Bewohnerinnen und Bewohner im Quartier trägt. Mit den Mitteln der Technik wird es nun weiter ausgebaut. Der Prototyp der App steht und wurde vom Verein abgesegnet. Was jetzt folgt, ist Fleissarbeit: Die Beteiligten müssen ihre Informationen eingeben, damit diese dann auch abgerufen werden können. Im Sommer soll das Programm zur Verfügung stehen, zuerst im Neustadtquartier. Später soll es dann in ganz Luzern und – wer weiss – in angepasster Form vielleicht in der ganzen Schweiz zum Einsatz kommen. Denn bereits jetzt weckt das Projekt Interesse über den Kanton hinaus.
Autorin: Senta van de Weetering
Fotos: Martin Vogel; Illustration: Istockphoto
Vicino Luzern
Der Verein Vicino Luzern setzt sich dafür ein, dass ältere Menschen möglichst lange daheim ein selbstbestimmtes Leben führen können. Dafür stärkt er die Nachbarschaftshilfe und vermittelt bei Bedarf professionelle Dienstleistungen. Im Moment ist er im Luzerner Neustadtquartier aktiv; weitere Standorte werden aufgebaut. Vicino Luzern wird von folgenden Institutionen getragen: allgemeine baugenossenschaft luzern abl, Altervia, Besuchsdienst Innerschweiz, Caritas Luzern, Forum Luzern60plus, Gepflegt Spitex Luzern, Haushilfe Luzern, Hochschule Luzern, Moos Hörgeräte, Katholische Kirche Stadt Luzern, Pro Senectute Kanton Luzern, Reformierte Kirche Stadt Luzern, Schweizerisches Rotes Kreuz, Spitex Stadt Luzern, SOS-Dienst, St. Anna Stiftung, Steinhof Pflegeheim, Stiftung Contenti, Wohnbaugenossenschaft WGL Littau, Viva Luzern AG und Zeitgut Luzern. Die Stadt Luzern ist als Beisitzerin dabei. Der Kreis der Unterstützer wird kontinuierlich ausgebaut. Das Projekt wird finanziell und fachlich durch die Age Stiftung, die Albert Koechlin Stiftung und weitere unterstützt.
www.vicino-luzern.ch
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