Was unterscheidet das Herstellen eines gestrickten von dem eines genähten Produktes? Beim Zuschneiden fällt Material ab, am Strickstück müssen nur ein paar Fadenreste verarbeitet werden.
Der deutlich reduzierte Abfall ist nur ein Vorteil der Stricktechnik. Der Konzern Nike, der diese für seine «Flyknit»-Schuhe entdeckt hat, preist die Modelle nicht nur als nachhaltiger, sondern auch als besonders leicht und dem Fuss angepasst.
Die Designerin und Forscherin Isabel Müggler Zumstein vom Departement Design & Kunst der Hochschule Luzern hat mit ihrem Team und zusammen mit der Firma LK International aus Hünenberg die Stricktechnik in einem von der KTI geförderten Projekt funktional erforscht und perfektioniert, für eine Premium-Skijacke, die jetzt unter dem Namen Freelite angeboten wird.
«Wie beim Stricken einer Socke formt man den Stoff direkt an der Strickmaschine in 3D über die technische Konstruktion», sagt Isabel Müggler Zumstein, schütze ihn etwa an der Schulter mit einer Verstärkung vor den scharfen Kanten der Ski und sorge für Belüftung etwa unter der Achsel oder am Unterarm. «Man kann die Funktion beim Stricken in den Stoff integrieren und in einem Stoffstück verschiedene Funktionen an verschiedenen Stellen einbauen.» Daher hat ein gestricktes Kleidungsstück auch weniger Nähte. Das hat Vorteile für die Isolierung, denn Nähte sind immer Problemstellen der Kleidung. Zudem ist Strickstoff sehr elastisch und dynamisch, er gibt nach, wenn der Arm bewegt wird, nimmt aber wieder die ursprüngliche Form an, sobald die Bewegung beendet ist. «Ausserdem rascheln die üblichen Hightech-Stoffe bei jeder Bewegung des Skifahrers», sagt Isabel Müggler Zumstein, «der Strickstoff hingegen geht mit der Bewegung mit und ist dabei ganz ruhig.» Das ermögliche ein Skifahren in Stille, der Fahrer könne die Landschaft intensiver wahrnehmen.
Forschung geht weiter
Diese Argumente haben auch die LK International AG in Cham überzeugt, die unter dem Namen KJUS hochwertige Sportbekleidung im oberen Preissegment herstellt. «Die Expertise der Hochschule Luzern im Strickbereich hat uns ermöglicht, ganz neue Wege in der Produktentwicklung zu gehen», sagt Kenneth Kurtzweg, Head of Innovation bei KJUS. «Wir gehen davon aus, dass die Jacke in Sachen Bewegungsfreiheit Massstäbe setzen wird.» KJUS bietet auf Basis der Forschungsergebnisse in der Kollektion Winter 2016/17 zweilagige Freelite-Jacken an, ein Modell für Frauen, eines für Männer. «Die Jacke fühlt sich wohlig warm und weich an, fast ein wenig kokonartig», sagt Müggler Zumstein.
Den Jacken sieht man aus der Ferne allerdings das Gestrickte kaum an; ein Umstand, den Isabel Müggler Zumstein ein wenig bedauert. «Wir hätten das gerne radikaler umgesetzt, zum Beispiel auch mit gröberen Strickstrukturen. Aber die Partnerfirma entscheidet, wie sie die Forschungsergebnisse verwertet, und trägt das Marktrisiko», sagt sie. «Unsere Forschung geht weiter, denn Strick kann den Produktionsprozess von funktionaler Kleidung revolutionieren.» Wegen des hohen Produktionsdrucks war die Forschungszeit an der Maschine in Thailand eng getaktet. Umso mehr freut es sie, dass die Jacke nun zu 95 Prozent auf der Strickmaschine entstand. Konsequent bewirbt KJUS diese mit dem Slogan: «The world’s first fully-knitted ultra-stretch ski jacket», extrem dehnbare und erste komplett gestrickte Skijacke der Welt.
Autorin: Valeria Heintges