Software kaufen, laden, Datei starten, losarbeiten. So war das bisher. Doch wer Software aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz nutzen möchte, findet derzeit die kognitiven Technologien in Form von Programmbausteinen, die sozusagen erst passend geklopft und dann zusammengebaut werden müssen. Viele grosse Softwarefirmen – wie Microsoft, Apple, IBM, die indische Wipro – bieten solche Technologien an. Die Bausteine kann man direkt von ihrer Website aus der Cloud laden und nutzen. Ein Baustein erkennt etwa die Sprache, einer kann Text übersetzen, ein dritter durchsucht das Archiv nach Texten mit ähnlichem Inhalt, ein vierter bringt den Computer zum Sprechen. «Künstliche Intelligenz aus der Steckdose, sozusagen», sagt Jana Koehler, Spezialistin für Künstliche Intelligenz im Departement Informatik der Hochschule Luzern. «Die Technologien sind jetzt recht ausgereift, sie einzukaufen und als Softwarepakete zu nutzen, wird möglich. Smartphone-Assistenten wie Siri auf dem iPhone machen es vor.»
Doch wer die Programme für seine eigenen Zwecke nutzen will, sieht sich mit vielen Herausforderungen konfrontiert. «Die Technologien verändern sich von Version zu Version, und sie müssen an die Bedürfnisse der Unternehmen angepasst werden», sagt Jana Koehler. «Sie brauchen auf sie zugeschnittene Daten und müssen erst lernen, wie sie ihre Aufgaben im Unternehmen erfüllen sollen. Das braucht Zeit und ist mit Risiken verbunden, die kontrolliert werden müssen.»
Kognitive Systeme für KMU
Projekte mit kognitiven Technologien, auch im Umfeld von Internet of Things (IoT), sind deshalb im Moment vor allem etwas für grosse Unternehmen. Wenn Schweizer KMU die Anwendungen nutzen wollen, tun sich aber Probleme auf. «Ihnen fehlen oft Geld, Wissen und die Arbeitskräfte, um die Programme auf ihre Bedürfnisse zuzuschneiden», sagt Roland Imoberdorf, Leiter UMB Solutions und Mitglied des Führungsgremiums des IT-Dienstleisters UMB AG in Cham. «Gleichwohl müssen sich auch mittelständische Unternehmen mit dieser Entwicklung auseinandersetzen.» Daher haben sich die UMB AG und Jana Koehler von der Hochschule Luzern zusammengetan; im Projekt «Kognitive Services für KMU» wollen sie mit dem Prototyp eines intelligenten Assistenten für ein IT-Service-Desk durchspielen, welche Veränderungen eine Implementierung für Unternehmen bedeutet, auch für das Management der Geschäftsprozesse. Das Team von UMB und Hochschule Luzern analysiert dafür die Prozessabläufe im Service-Desk der UMB und entwickelt Lösungen für die Aufgaben, die kognitive Services übernehmen können. Die UMB stellt Daten und Wissen im Kundensupport zur Verfügung, das Team der Hochschule Luzern wählt kognitive Technologien aus und implementiert den intelligenten Assistenten.
Herausforderung Implementierung
Dafür hat Jana Koehler die Arbeitsschritte eines IT-Service-Desks in kleine Schritte unterteilt: Die Texte der eingehenden E-Mails müssen analysiert werden. Um was für ein Problem geht es? Wurde ein ähnliches schon gelöst? Wie dringend ist die Situation – ist ein kritisches Softwaresystem ausgefallen oder hat ein Mitarbeiter nur sein Passwort vergessen? In welchen Bereich fällt die Anfrage? Wer ist der beste Ansprechpartner für den Kunden? Entsprechend erstellt der Assistent ein Ticket, analysiert das Problem, löst einfache Probleme selbst und leitet dringende und schwierige sofort an den Experten weiter.
Am Anfang benötigt solch ein «Assistent » Hilfe von menschlichen Kollegen, aber mit der Zeit lernt er, immer mehr Anfragen durch Rückgriff auf Wissen und Informationsquellen selbst zu lösen. Dabei muss der Assistent sich auf den Kunden einstellen und sein Anliegen korrekt entgegennehmen. Technologien, die die Stimmung eines Menschen erkennen, existieren bereits. Doch Jana Koehler berichtet auch von einem Microsoft-Programm, das auf harsche Formulierungen mit ebenso harschen Antworten reagierte. Der Computer hatte nicht gelernt, eine Situation zu entspannen. Er konnte nur spiegelbildlich antworten – und musste nach 24 Stunden vom Markt genommen werden, weil er die Kunden beschimpfte. «Der Einsatz von kognitiven Services muss kontrolliert erfolgen», sagt Jana Koehler. «Sonst ist das Risiko viel zu gross.»
Dazu kommen andere Fragen: Welche Bausteine welcher Firma eignen sich für solch einen aus Bausteinen zusammengesetzten «Assistenten»? Zu den Kosten für die Software kommen die der Implementierung und des Trainings. Zudem müssen die Abläufe in Unternehmen verändert werden, denn der elektronische Assistent muss auf Daten zugreifen und in die Arbeitsschritte der menschlichen Kollegen eingebaut werden. «Das erfordert eine neue Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine», sagt Jana Koehler. Wird sich der Prozess lohnen? Die Informatiker der Hochschule Luzern und der UMB AG sind sich dessen sicher. «Die Digitalisierung hat im Moment dazu geführt», sagt Koehler, «dass Kunden in den digitalen Kanälen sehr oft Mühe haben, einen Ansprechpartner zu finden, der ihr Anliegen kompetent und schnell löst.» Kognitive Technologien konnten die Arbeit im Kundendienst aufwerten und helfen, sie zu verbessern.
Autorin: Valeria Heintges
Grafik: Stephan Schmitz