Peter Schwehr, welche Faktoren beeinflussen den Preis von Wohnraum besonders stark?
Zuallererst der Bodenpreis. Wenn mit dem Boden spekuliert wird, wirkt sich das später direkt auf die Mietkosten aus. Weiter kostenrelevant sind unter anderem die Wohnungsgrösse, die Ausstattung der Wohnung und die gestiegenen gesetzlichen Standards. All das schlägt sich in den Baukosten nieder.
Woran kann beim Bau von günstigeren Wohnungen gespart werden?
Die Baukosten lassen sich auf unterschiedlichen Ebenen senken, zum Beispiel kann der Bauherr mit der Stadt über eine geringere Anzahl von Stellplätzen verhandeln, da hier der Bedarf eigentlich abnimmt. Ferner gibt es im Bauprozess Möglichkeiten, zu sparen, etwa durch standardisierte Bauteile. Nicht zuletzt spielt die Förderung von Genossenschaften eine grosse Rolle, sie sind nicht gewinnorientiert.
Welche Mindestanforderungen muss eine Wohnung erfüllen, damit man sich darin wohl fühlen kann?
Das ist sehr subjektiv. Neben üblichen Komfortfaktoren wie zum Beispiel Licht und Klima spielen Funktionalität und Anpassungsfähigkeit der Wohnung eine grosse Rolle: Verfügen die Zimmer über vernünftige Proportionen, dann ermöglichen sie unterschiedliche Nutzungen. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Nachbarschaft, die Qualität des direkten Wohnumfeldes. In Zürich und Berlin gibt es einige Neubauprojekte, die vorbildlich sind.
Wodurch zeichnen sie sich aus?
Wir haben verschiedene Bauten mit günstigen Wohnungen analysiert, unter anderem in Zürich das Wohn- und Gewerbehaus Kalkbreite und das Kraftwerk 2 mit über 50 Wohnungen sowie verschiedene Gebäude in Berlin, die günstige Wohnungen bieten. All diese Bauten verfügen über ein grosses Angebot an gemeinschaftlichen Räumen, beispielsweise eine Gemeinschaftsküche. Dadurch kann die Küche in der einzelnen Wohnung kleiner sein. Und zusätzlich wird eine durchmischte Bewohnerschaft im Gebäude angestrebt. Die Wohnungen werden an verschiedene Alters- und Sozialschichten vermietet.
Können diese Vorzeigeprojekte das generelle Problem der Gentrifizierung, die Abwanderung ärmerer Bevölkerungsschichten aus bestimmten Quartieren, lösen?
Gentrifizierung ist kein Naturgesetz. Sie lässt sich bekämpfen, wenn der Bau bezahlbarer Wohnungen gefördert wird, ebenso wie eine bewusste soziale Durchmischung, die genannten Beispiele zeigen dies eindrücklich. Das Zusammenleben von Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen und Lebensphasen verhindert eine «Ghettoisierung».
Sie sind jetzt in ein Wohnbauprojekt in Berlin eingebunden. Was unterscheidet Berlin von Zürich?
Berlin wächst pro Jahr um 80’000 bis 100’000 Einwohner. Die Stadt braucht dringend und schnell günstigen Wohnraum, unter anderem auf Grund der hohen Flüchtlingszahlen. Da ist grosse Dynamik gefordert, beim Wohnungsbau dürfen neue Strategien ausprobiert und auch Fehler gemacht werden. Eine Haltung, die in Zürich nur schwer vorstellbar ist. Aber die Brisanz explodierender Mieten und die Verdrängung Alteingesessener sind in beiden Städten gleich. In Zürich liegt die Leerstandsquote von Wohnungen bei 0,22 Prozent – und leer stehen vor allem sehr teure Wohnungen, günstige sind kaum ausgeschrieben.
Was ist Ihre Aufgabe in Berlin?
Unser Kompetenzzentrum ist Partner in einem Neubauprojekt. Im Stadtteil Marzahn entstehen bis 2019 fünf Häuser mit kostengünstigen Wohnungen. Eines dieser Häuser wird als Pilotprojekt in grosser Anzahl sogenannte «Variowohnungen » enthalten. Diese Typologie und das Umsetzungskonzept haben wir gemeinsam mit den Architekten und dem verantwortlichen Wohnungsbauunternehmen entwickelt.
Was bedeutet «Variowohnen»?
Das sind Wohnkonzepte, die flexibel auf die besonderen Anforderungen von unterschiedlichen Nutzergruppen eingehen, wie Studierende, Auszubildende, Rentner und Flüchtlinge. Die Wohnungen verfügen über vernünftig proportionierte Räume. Je nach Ausprägung haben sie eine Kochnische und ein Bad. Über grössere Gemeinschaftszonen können diese Einzelwohnungen zu einer grösseren Einheit, einer Familienwohnung oder WG, zusammengeschlossen werden. Das deutsche Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung fördert dieses Modell.
Was verspricht sich die Politik davon?
Mit diesen Konzepten wird man flexibler auf demografische Veränderungen reagieren können: auf den zyklischen Zu- oder Wegzug von Menschen ebenso wie auf sich verändernde Bedürfnisse einer älter werdenden Gesellschaft.
Interview: Sarah Nigg