Als American Airlines 2013 mitteilte, dass ihre Flugzeuge nicht mehr mit dem typischen polierten Aluminiumrumpf daherkommen werden, löste dies bei Nostalgikern Bedauern aus. Vor allem machte das Ende dieser 45jährigen Ära aber deutlich, dass sich im Flugzeugbau etwas tut. Die grossen Maschinen werden nicht mehr aus Aluminium, sondern aus Verbundmaterialien gebaut. Diese Kunststoffe, die mit Carbon oder Kohlefasern verstärkt sind, sorgen dafür, dass die Flugzeuge wesentlich leichter werden und damit weniger Kerosin verbrauchen. Die Luftfahrt verursacht einen markanten Teil des globalen CO2Ausstosses und steht unter Druck, die Emissionen weiter zu senken (siehe Box). Am Flugzeugrumpf kann derzeit nicht mehr viel optimiert werden. «Das Potenzial von grösseren Sprüngen bei der Gewichtsreduktion durch neue Materialien ist für viele Jahre ausgeschöpft», sagt Ulrich Dersch, Leiter des Kompetenzzentrums Innovation in Intelligent Multimedia Sensor Networks am Departement Technik & Architektur.
Daten über die Stromkabel
Im Labor des Kompetenzzentrums sind Messgeräte und Kabelbäume zu sehen, auf einem Holzgerüst sind nebeneinanderliegende Kupferschienen, durch die Kabel verlaufen, montiert. Der Physiker Dersch und sein Team konzentrieren sich schon seit Jahren auf eine Technik, die innerhalb der Flugzeughülle viele Kilos oder gar Tonnen überflüssig machen kann: die Powerline Communication (PLC). Damit werden Daten über die Stromkabel übertragen und nicht wie bisher über separate Drähte. «Wenn man bedenkt, dass in einem Airbus A380 über 500 Kilometer Draht installiert sind, kann PLC für eine erhebliche Gewichtsreduktion sorgen», sagt Dersch. Von den acht Tonnen Kabel, Halterungen und Stecker entfallen etwa drei auf die reinen Datenverbindungen. «Unser Ziel ist, dass wir bis zu einer Tonne einsparen können.» Das sei sehr viel im Flugzeugbau. Einige Airlines würden schon für geringere Gewichtsreduktionen Massnahmen überlegen, wie zum Beispiel die Einschränkung der Gepäckmenge pro Passagier. Auch das wirke sich bereits auf den Kerosinverbrauch aus.
75 Prozent weniger CO2 gefordert
Der Advisory Council of Aviation Research (ACARE) ist der europäische Luftfahrtforschungsbeirat. Er bringt die führenden Vertreter der europäischen Luftfahrtbranche aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammen, um gemeinsam die Leitlinien der europäischen Luftfahrtforschung zu erarbeiten. Im «Flightpath 2050» wurden bezüglich Schadstoffausstoss sehr hohe Ziele vereinbart: Der Kraftstoffverbrauch sowie die CO2-Emissionen sollen um 75 Prozent gesenkt werden, die giftigen Stickoxid-Emissionen (NOx) gar um 90 Prozent und die Lärmemissionen um 65 Prozent. Die bisherige Entwicklung mit leichteren Flugzeugen und moderneren Triebwerken hat schon Wirkung gezeigt. So lag der durchschnittliche Brennstoffverbrauch Anfang der 1990er-Jahre bei etwa 6 Litern pro 100 Passagier-Kilometer. Der moderne A380 erreicht bereits einen Wert von 2,9 Litern. Um die Ziele bis 2050 zu erreichen, sind weiterhin Verbesserungen nötig, bei den Triebwerken, bei der Bauweise sowie der Innenausstattung, wie etwa bei den Kabeln.
Vom Unterhaltungssystem bis zur Triebwerksteuerung
Damit PLC in der Flugzeugtechnik eingesetzt werden kann, müssen die Forscher der Hochschule Luzern und der Industriepartner Diehl Aerospace, Systemlieferant für Airbus und weitere Flugzeughersteller, einen weiten Weg gehen. Dies liegt nicht nur an den vielen technischen Systemen im Flugzeug, sondern auch den hohen Sicherheitsanforderungen. «In der Flugzeugtechnik gibt es fünf Klassen von Systemen», sagt Dersch. Diese reichen von E für flugunkritisch bis A für hoch sicherheitsrelevant, deren Ausfall katastrophale Konsequenzen hat. Oder konkret: vom Unterhaltungssystem bis zur Steuerung der Klappen und Triebwerke. Das erste Projekt aus diesem Forschungsrahmenprogramm der EU galt denn auch einem Unterhaltungssystem, mit dem zum Beispiel Videos zu den Sitzplätzen übertragen werden. Weil es zwar viele Daten überträgt, aber geringe Sicherheitsanforderungen hat, diente es der Überprüfung des Datenvolumens, das mit PLC bewältigt werden kann. Darauf folgte ein weiteres EU-Projekt mit Kabinenbeleuchtung und -kommunikation, bei dem die Einsparung von über einem Drittel der Datenkabel nachgewiesen wurde.
Eigene Technologieplattform
Nach diesen erfolgreichen Projekten hat die Hochschule Luzern inzwischen eine eigene Technologieplattform namens PLUS (Power Line data bUS) entwickelt, um PLC in Flugzeugen möglich zu machen – und zwar für alle Systeme. Mit PLUS gelingt es, Daten über die Stromkabel zu übertragen, einen Übertragungskanal, der nicht für die Kommunikation optimiert ist. Dazu wird das digitale Signal in ein analoges umgewandelt, auf das Stromkabel gekoppelt, am Zielort wieder entkoppelt und digitalisiert. Das PLUS-Protokoll definiert dabei auch, wohin all die Signale geleitet werden.
In Echtzeit und zuverlässig
Stephen Dominiak, Leiter der Forschungsgruppe Communication Technologies im Kompetenzzentrum, zeigt den PLUS-Prototyp. «Derzeit arbeiten wir daran, das Gerät deutlich kleiner zu machen.» Der nach oben offene, flache Metallkasten ist etwa so gross wie zwei Schuhkartons, enthält einen grossen Chip, verschiedene Leiter- platten und kleine Drähte. Das Gerät muss angesichts der vielen Systeme in einem Flugzeug sehr viel leisten – und vor allem sehr schnell. «Die Signale im Flugzeug müssen in Echtzeit gesteuert und übermittelt werden», sagt Dominiak. Dies sei auch der grosse Unterschied zu den PLC-Techniken, die für den Gebrauch zu Hause schon erhältlich sind. «Denn wenn man einen Drucker über das Stromnetz ansteuert, spielt es keine Rolle, wenn das Signal etwas später ankommt. Im Flugzeug darf dies natürlich nicht geschehen.» Die Luzerner Forscher sprechen bei ihrer Technologie deshalb auch von Echtzeit-PLC. Dass sie funktioniert, haben sie in den beiden EU-Projekten bewiesen.
Strenge Anforderungen an die Sicherheit
Damit das PLC-System dereinst abheben und auch die flugkritischen Systeme steuern kann, muss es von der europäischen und der amerikanischen Luftfahrtbehörde zertifiziert werden. Dafür müssen die Ingenieure für jede Komponente nachweisen können, dass sie sicher ist. Bei den sicherheitsrelevantesten Komponenten bedeutet dies, dass sie nicht mehr als 10–9 Ausfälle pro Stunde haben dürfen. Sprich: Das Risiko, dass es in einer Betriebsstunde einen Ausfall gibt, darf nicht grösser sein als eins zu einer Milliarde. «Wir müssen die Entwicklung deshalb unter einem strengen Prozess für die Verifikation und Validierung durchführen», sagt Jürgen Wassner, Leiter Digital Design und Signalverarbeitung im Kompetenzzentrum. Für alle Soft- und Hardwarekomponenten wird ein detaillierter Anforderungskatalog erstellt, in vorgeschriebenen Testverfahren wird dann geprüft, inwieweit sie diese erfüllen. Der Prozess findet anhand von Richtlinien aus der Flugzeugindustrie statt. Bei der Entwicklung wird auch die Model-Based-Design-Methode eingesetzt. Damit können die Entwickler in einer Simulationsumgebung schon sehr früh Schwachpunkte oder Fehler im System identifizieren und beheben. Ein wichtiges Zulassungskriterium wird im Labor in Horw derzeit getestet: Weil Daten- und Stromleitungen mit ihrer elektromagnetischen Abstrahlung andere elektrische Elemente stören können, haben die Forscher die Einrichtung mit den Kupferschienen gebaut. Damit messen sie das Strahlungsverhalten der PLC-Kabel.
Den «Take-off» vor Augen
Seit 2008 forscht Ulrich Dersch mit seinem Team an der Hochschule Luzern unter anderem an der Entwicklung von PLC-Technologien für Flugzeuge. Die gesamte Entwicklungszeit bis zur Anwendung in der Luft wird in zehn genormte Entwicklungsphasen unterteilt. «Die ersten fünf finden im Bodenlabor statt, ab der sechsten geht es in die Luft, die zehnte ist der operative Betrieb», erklärt Dersch. «Wir befinden uns nun in der fünften Phase.» Bis die ersten Flugzeuge mit PLC an Bord abheben, dürften noch einige Jahre vergehen. Das Ergebnis der Forschung wird für Passagiere nicht so augenfällig sein wie die Umstellung von Aluminium auf Verbundwerkstoffe bei den Flugzeugen der American Airlines. Vielleicht könnte die Kabine etwas anders gestaltet sein, weil die Verkabelung weniger Platz einnimmt. Deutlich ablesen lassen wird sich das eingesparte Gewicht hingegen an der Treibstoffanzeige.
Autor: Daniel von Känel