Sibylla Amstutz, Sie erforschen die Arbeitswelt schon seit über acht Jahren. Welches sind die drängendsten Probleme?
Die heutigen Kommunikationstechnologien erlauben es, die Arbeit unabhängig von Ort und Zeit zu erledigen. Das bringt sicher viele Vorteile, aber es zeigt sich auch, dass die Anforderungen an Selbstmanagement, beispielsweise durch die ständige Erreichbarkeit und die Selbstmotivation,in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind. Wer das nicht schafft, bleibt auf der Strecke. Daneben zeigt sich eine schwindende Verbundenheit mit dem Unternehmen, den Kolleginnen und Kollegen sowie den Führungskräften. Wir sprechen hierbei von einer De-Kontextualisierung der Mitarbeitenden.
Wie kann das verhindert werden?
Das physische Büro übernimmt eine wichtige Funktion, indem es einen Hafen für die Mitarbeitenden bietet und damit Kontext schafft.
Welche Rolle spielt dabei die Architektur?
Architektinnen und Architekten müssen die Grundvoraussetzungen für Officegebäude schaffen, die den gesellschaftlichen Wandel berücksichtigen und auf die Bedürfnisse der Nutzenden eingehen. Wir vom Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur postulieren seit Jahren das Human Office, ein Büro, das die Tätigkeiten und Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigt.
Welches sind denn die Bedürfnisse der heutigen Büromitarbeitenden?
Sie brauchen Handlungsspielräume und müssen verschiedene Zonen für die Vielfalt ihrer Aufgaben zur Verfügung haben. Dazu gehören Rückzugsorte für konzentriertes Arbeiten, vor allem aber auch Räume für intensive Teamarbeit. Weiter braucht es auch Raum für Begegnung und den informellen Austausch.
Austausch und Zusammenarbeit können doch auch gut in einem Grossraumbüro stattfinden?
Natürlich begegnen sich die Menschen im Grossraumbüro, dass dies jedoch auch Konfliktpotenzial birgt, belegen viele Studien. Auch unsere Forschung zeigt, dass die Probleme, mit denen Mitarbeitende in Grossraumbüros kämpfen, in etwa immer die gleichen sind: Gespräche der Kolleginnen und Kollegen stören, den einen ist es zu kalt, den anderen zu warm. Die Mitarbeitenden können dabei oft keinen Einfluss auf ihr Umfeld nehmen und fühlen sich ausgeliefert – das beeinflusst ihre Produktivität und Zufriedenheit.
Trotzdem entstehen heute viele Grossraumbüros. Warum?
Meistens geht es den Unternehmen darum, Kosten zu sparen und möglichst viele Arbeitsplätze auf der Fläche unterzubringen. Es ist aber auch erwünscht, dass sich die Mitarbeitenden austauschen und informiert sind, und dies ist ein grosser Vorteil beim Grossraumbüro.
Wie kann ein Grossraumbüro denn gut funktionieren?
Vielleicht braucht es ein Umdenken bei der Nutzung. So könnte zum Beispiel Kommunikation im Grossraum und an den Gruppentischen erlaubt und sogar erwünscht sein. Die konzentrierte Tätigkeit könnte an unterschiedlichen Orten und Arbeitsplätzen ausgeführt werden, entweder zu Hause oder an speziell gestalteten Rückzugsräumen im Unternehmen. Darüber hinaus braucht es aber auch geeignete Orte und neue Konzepte für Projektarbeit, die durch die heutigen Meetingräume oft nicht angemessen unterstützt wird.
Können solche Faktoren Produktivität und Zufriedenheit der Mitarbeitenden steigern?
Natürlich nützt bei schlechter Stimmung im Team der beste Raum nichts. Allerdings kann eine kluge Gestaltung der Arbeitsumgebung tatsächlich grosse Auswirkungen auf die Produktivität haben. Und das führt zu mehr Zufriedenheit. Es ist ja so: Je produktiver ein Mensch arbeiten kann, desto zufriedener ist er.
Interview: Sarah Nigg
Bild: Priska Ketterer
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