«Viele Gleichstellungsbüros vermeiden den Begriff ‹Gleichstellung›, wenn sie Unternehmen für die Teilnahme an ihren Programmen motivieren wollen», sagt Lucia M. Lanfranconi, Dozentin und Projektleiterin am Departement Soziale Arbeit der Hochschule Luzern. «Sie heben den wirtschaftlichen Nutzen für die Arbeitgebenden hervor, etwa mit dem Hinweis, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf dem Fachkräftemangel entgegenwirke.»
Lanfranconi hat im Rahmen ihrer Dissertation die Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes (GlG) analysiert. Dieses ist seit fast zwanzig Jahren in Kraft und Grundlage für Programme zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter im Erwerbsleben. Die Soziologin wollte den im internationalen Vergleich erheblichen geschlechtsspezifischen Unterschieden, die trotzdem bis heute bestehen, auf den Grund gehen.
Gleichstellung soll sich rechnen
Lanfranconi konnte zeigen, inwiefern die Reichweite und Wirksamkeit der aktuellen Gleichstellungspolitik beschränkt ist. Das grösste Problem sei, dass die Projekte für die Unternehmen freiwillig und unverbindlich seien. Massnahmen würden nur eingeführt, wenn es sich fürs Unternehmen lohne.
Auch kritisiert sie die mangelnde Themenvielfalt: «Die Unternehmen engagieren sich stark, damit ihre Mitarbeitenden Familie und Beruf vereinbaren können; dies mit der Idee, Personal zu rekrutieren und zu binden. Wichtige Themen wären aber etwa auch Lohngleichheit oder Frauen als Führungskräfte.»
Weiter beanstandet sie, dass die Büros, die für die Umsetzung von Massnahmen zuständig sind, bisher kaum Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten haben. In vielen anderen Ländern seien diese üblich. Mit ihrer Doktorarbeit hat Lanfranconi Mängel aufgedeckt; mit dem Kommunikationsprojekt gleichstellen.ch will sie der Diskussion neuen Schub geben. Sie ist überzeugt, dass der Schlüssel zum Erfolg ist, für das Thema zu sensibilisieren und neue Massnahmen anzuregen.
Die Flachglas (Schweiz) AG in Wikon hat an der Studie teilgenommen. Beppino Candolo, der Vorsitzende der Geschäftsleitung, gibt Lanfranconi recht: «Wir sind überzeugt, dass die Gespräche im Rahmen der Studie, die Dissertation und die erkannte Bedeutung des Themas in unserem Unternehmen konkrete Massnahmen wie etwa flexiblere Arbeitszeiten angestossen haben.»
Autorin: Eva Schümperli-Keller
Bilder: Mischa Christen
Das sozialwissenschaftliche Kommunikationsprojekt gleichstellen.ch wurde am Departement Soziale Arbeit der Hochschule Luzern lanciert und vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert. Die Gleichstellung der Geschlechter im Erwerbsleben wird in Podien, Workshops, einem E-Learning-Tool sowie einem Dokumentarfilm thematisiert. Filmpremiere ist am 8. März 2016. www.gleichstellen.ch