Auf dem Tisch im Atelier des Departements Design & Kunst in Luzern liegen Stoffproben. Von links nach rechts lässt sich die Entwicklung ablesen: links die Anfänge, mit schwarzen Linien und Figuren, in der Mitte Blüten mit gestickten Kelchen und gedruckten Blättern, ganz rechts dreidimensional auf schwarzem Stoff aufliegende, gelbe Farbfäden. Die Proben dokumentieren die siebenjährige vom Bundesamt für Technologie und Innovation KTI geförderte Forschungsarbeit an DAFAT, dem Projekt «Digitale Applikation von Farben auf Textil».
Am Anfang stand eine Vision. Eine Vision von Farbe, die sich fühlen lässt. Heute werden Stoffe mehrheitlich digital bedruckt, eine Technik, die aus dem Papierdruck stammt. Weil die gleiche Art von Druckköpfen verwendet wird, müssen die Farben sehr dünnflüssig sein. Der Stoff saugt die Tinte auf, der Druck bleibt aber «flach». «Mit DAFAT wollten wir der Farbe ihre Materialität zurückgeben», sagt Andrea Weber Marin, Projektleiterin und Co-Leiterin des Kompetenzzentrums Product & Textil.
Die Forscherinnen der Hochschule Luzern arbeiteten eng mit Ingenieuren der Hochschule für Technik Rapperswil und der Berner Fachhochschule sowie mit Chemikern der Farbenhersteller Huntsman und Bezema zusammen. Gemeinsam entwickelten und optimierten sie einen Prototypen für eine Druckmaschine.
Zuerst ein Roboterarm mit Düse
Die Anforderungen, die die Designerinnen an eine neuartige Druckmaschine stellten, waren hoch. Sie sollte Farben mit grossen Pigmenten und dickflüssige Pasten auf Stoffen auftragen können, gleichzeitig saubere Linien – dünn, dick, geschwungen – zeichnen und Farbübergänge machen können. «Der erste Proptotyp bestand aus einem Roboterarm mit Düse», erinnert sich Andrea Weber Marin. «Wir experimentierten mit zahllosen Farb-Rezepturen, bis wir eine klare Druckkontur erhielten.»
Zwischenzeitlich stellte sich heraus, dass der Druck auf die Düse oder aber der Abstand zwischen Düse und Stoff das Ergebnis stark beeinflussen können. Je nach Stoff verfliesst die Farbe mehr oder weniger und immer wieder kommt es vor, dass die Maschine plötzlich Farbe spuckt. «Für die Ingenieure war das ein Fehler, den es sofort zu beheben galt», sagt Françoise Adler, die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Kompetenzzentrums Produkt & Textil. «Wir Designerinnen sahen darin eine Chance, so etwas als Gestaltungselement einzusetzen.»
Die Farbe ist waschecht und erfüllt alle Anforderungen an eine Textilfarbe. Daran haben die Chemiker lange gearbeitet.
Tatsächlich gelingt es den Ingenieuren, den Spuck-Effekt zu steuern und reproduzierbar zu machen. Die Maschine druckt ein Muster, das wie lauter kleine Feuerwerke aussieht. Der Reiz daran: Die Feuerwerke explodieren zwar in exakt gleichem Abstand – aber mal ein wenig mehr nach links, mal ein wenig mehr nach rechts. «Der Stoff erhält so einen Look von Handgemachtem », sagt Françoise Adler.
Designerinnen können das Druckergebnis selbst beeinflussen
Damit erfüllt die DAFAT-Technologie auch den Wunsch nach mehr Interaktion während des Druckprozesses – die Arbeit der Designerinnen endet nicht mehr, wenn die Datei aus dem Computer abgesendet wurde, sie können das Druckergebnis selbst beeinflussen. Die Stoffprobe mit Blüten aus gestickten Kelchen und gedruckten Blättern zeugt von einer weiteren Phase der DAFAT-Entwicklung.
Weil der Industriepartner Saurer Embroidery Stickmaschinen herstellt, entwickeln die Ingenieure einen weiteren Prototypen. Er enthält ein Modul für Farbapplikationen, das auf die Stickmaschine aufgebracht wird. Beide Techniken lassen sich effektvoll miteinander kombinieren, etwa wenn zuerst graue Blütenstempel gestickt und dann mit gesprühten, strahlend roten Blütenblättern ergänzt werden. Das Ansinnen, Farbe fühlbar zu machen, ist damit immer noch nicht ganz erfüllt.
Die Forschenden verändern noch einmal die Konstruktion des Sprühkopfes und arbeiten weiter an der Zusammensetzung der Druckpasten. 2014 ist es soweit, ein dritter Prototyp soll sich bewähren und zwar bei der Jakob Schlaepfer AG, Herstellerin von Luxusstoffen. «Wir sind schon immer fasziniert davon gewesen, neue Drucktechniken zu nutzen», sagt Martin Leuthold, Art Director der Jakob Schlaepfer AG. «DAFAT ist die fünfte in nicht einmal 50 Jahren.»
Farbe in dicken, schaumigen Fäden
Jetzt plottet eine Düse die Farbe und wird dabei ähnlich einem 3D-Drucker von einer Software über den Stoff geschickt. Die Farben, dickflüssige Pasten, fliessen auf manchen Stoffproben emailartig ineinander, bilden harte, schillernde, beinahe lackartige Oberflächen. Auf anderen liegt die Farbe in dicken, schaumigen Fäden, die die Konturen einer grossen, gelben Blüte auf schwarzem Stoff nachzeichnen. Nun lässt sich die Farbe deutlich spüren. «Sie ist waschecht und erfüllt alle Anforderungen an eine Textilfarbe», sagt Andrea Weber Marin, «daran haben die Chemiker lange gearbeitet.»
Das Forschungsprojekt DAFAT wurde für den Design Preis Schweiz 2015 nominiert – in der Begründung wird vor allem auch auf die Rolle der Designperspektive als Innovationstreiber verwiesen. «In methodisch vorbildlicher Manier werden hier die Möglichkeiten des digitalen Textildrucks ausgelotet und erweitert. Wenn es ein Beispiel bräuchte, wie ‹Design Thinking› als Forschungs-Ansatz in einem internationalen Kontext auf die Spitze und zur Blüte getrieben werden kann, dann dieses.»
Jakob Schlaepfer in St. Gallen lässt nun den jüngsten DAFAT-Prototypen nachbauen und für die Produktion adaptieren. Art Director Martin Leuthold wird ihn einsetzen, solange er der Einzige ist, der über diese Innovation verfügt. «Wenn sie von anderen Häusern und Labels aufgegriffen und weiterentwickelt wird, müssen wir sie loslassen», sagt Leuthold, «dann ist sie kein Luxus mehr.»
Autorinnen: Valeria Heintges / Sigrid Cariola