Technische Erfindungen lassen sich patentieren. Designer aber spielen oft im Grenzbereich zwischen Original und Fälschung, zwischen Kopie, Plagiat auf der einen Seite, Re-Designs, Retro-Designs oder Hommagen auf der anderen, sagt Designforscherin Dagmar Steffen.
Dagmar Steffen, wie lassen sich kreative Erzeugnisse schützen?
Ein neues Design kann ins Designregister eingetragen werden. Ein literarisches oder musikalisches Werk oder eines der Bildenden Kunst wird vom Urheberrecht geschützt, das automatisch mit seiner Veröffentlichung in Kraft tritt. Die Regelschutzfrist dauert seit 1993 auch in der Schweiz 70 Jahre, vorher war sie kürzer. Ein neues Design, das eine technische Innovation beinhaltet, kann auch patentiert werden.
Es gibt illegale Imitate oder Plagiate und legale Re-Designs oder Hommagen. Warum ist einerseits verboten, was andererseits geschätzt wird?
Ein Imitat oder Plagiat zielt darauf ab, mit dem Original verwechselt zu werden, und verstösst gegen das Gesetz. Bei einem Re-Design hingegen geht es um eine Aktualisierung, eine Anpassung an veränderte Voraussetzungen oder Kontexte. Retro-Design spielt mit dem historischen Original. Und mit einer Hommage soll der Künstler des Originals sogar geehrt werden.
Die Täuschung allein macht den Unterschied?
Die Täuschungsabsicht unterscheidet das Plagiat vom Re-Design. Das zeichnet sich gegenüber dem Original durch eine neue Idee aus. Denken Sie an den Sessel von Le Corbusier und Charlotte Perriand. Der Schweizer Architekt Stefan Zwicky schuf in den 1980er-Jahren ein ironisches Re-Design, als er in «Grand confort / sans confort» die Lederkissen durch Beton ersetzt hat. Dennoch hat sein Sessel die gleiche Form; jeder denkt sofort an das Original – aber es kommt eine neue Aussage, ein Kommentar dazu.
Darf man von einem Designer nicht mehr erwarten?
Bis in die 1970er-Jahre hatten Künstler und Designer die Haltung: Wir machen alles neu. Aber bald war alles durchbuchstabiert. Man kannte Tische auf vier Beinen, auf drei oder zwei oder auf einem Bein, mit Kufen oder auf Böcken. Man liess die Tischfläche von der Decke hängen oder befestigte sie an der Wand. Mit der Postmoderne, in den 1980er-, 1990er-Jahren, war der Punkt erreicht, an dem Designer zum Schluss kamen: Wir können nichts Neues mehr schaffen, nur noch Re-Designs. Aber auch mit dem Anspruch, Vorhandenes zu optimieren, kann Hervorragendes entstehen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Christoph Schindler, Studiengangleiter des Bachelors Objektdesign, hat die Stabelle, einen traditionellen Stuhl aus dem Alpenraum, weiterentwickelt. Eine traditionelle Stabelle kann man nicht stapeln, seine schon. So verbessert er das Original durch das Ändern eines Details. Ein anderes Beispiel sind die Jasskarten des Grafikdesign-Studenten Luca Rosso; sie zeichnen sich aus durch eine frische, abstrahierte Ästhetik.
In der Bewegung des Teilens, des Sharing, stellen Entwerfer der Internet-Community Wissen zur Verfügung und verzichten ganz bewusst auf die wirtschaftliche Nutzung.
Das ist ein Verweis auf die Zeit vor der Renaissance, als Künstler begannen, ihre Werke zu signieren und auf ihre Autorschaft Wert zu legen. Die Bewegung des Sharing und der Co- Kreation, die in der Softwareentwicklung begann, gibt es auch im Design. Der Israeli Ronen Kadushin prägte den Begriff des Open Design. Mit seinen Entwürfen von Schalen, Stühlen und Tischen, die er frei zugänglich zum Nachbauen ins Netz stellt, verdient er kein Geld, aber als Pionier des Open Design hat er sich einen Namen gemacht. Das kann er jetzt als Designer nutzen. Er weiss, wie schwer es ist, Designideen schützen zu lassen.
Existiert ein Designschutz also nur auf dem Papier?
Einerseits ja, andererseits gibt es auch Gegenbeispiele: Der deutsche Möbelverleger Nils Holger Moormann hat gegen Ikea prozessiert, weil Ikea einen Tischbock aus seinem Programm kopiert hatte. Hätte er verloren, hätte er für die Prozesskosten aufkommen müssen. Aber er hat gewonnen. Ikea musste den Tischbock vom Markt nehmen.
Interview: Valeria Heintges
Doppelerfindungen gab es in der Geschichte immer wieder.
Dieses Spielen mit dem Original kann dem Urheber gefallen, muss es aber nicht. Da entstehen neue Grauzonen.
Die Grafikdesignerin Stefanie Preis hat die Schrift «BrezelGrotesk» entwickelt. Plötzlich fand sie eine andere Schrift, die ihrer sehr ähnelte und auch nach einem Essen benannt wurde, was in der Branche unüblich ist. Sie fand das nicht lustig, konnte aber nichts dagegen machen, weil Schriften in der Regel nicht urheberrechtlich geschützt und Abweichungen schwer zu definieren sind.
Was ist, wenn ein Künstler etwas erfindet und erst hinterher merkt, dass jemand anderes dieselbe Idee schon gehabt hat?
Dann hat er schlecht recherchiert. Solche Doppelerfindungen gab es in der Geschichte immer wieder. Heute kann man sich davor mehr oder weniger schützen, wenn man sich über Neuheiten informiert. Recherchen und Überprüfungen hat das Internet leichter gemacht.
Wie vermitteln Sie das Patent- und Urheberrecht im Unterricht?
Wir erklären den Studierenden, dass sie sich bei Entwürfen und schriftlichen Arbeiten auf Vorhandenes beziehen und korrekt zitieren, nicht aber nachmachen, abschreiben und fremde Gedanken und Ideen als die eigenen ausgeben dürfen. Ob das richtig umgesetzt wurde, ist von den Betreuenden bei jeder Arbeit aufs Neue zu prüfen. Im schlimmsten Fall droht den Studierenden die Nichtanerkennung ihrer Arbeit. Aber Designer dürfen natürlich sagen: Das Vorbild hat Schwachstellen, ich verbessere es mit anderen Materialien, einer neuen Form, Konstruktion oder mit einem anderen Herstellungsverfahren – und darauf stütze ich meinen Entwurf.
Auch mit dem Anspruch, Vorhandenes zu optimieren, kann Hervorragendes entstehen.