Die Windschutzscheibe eines Autos, die Knautschzone eines Eisenbahnwagens, Bauteile von Flugzeugen und Zahnkronen haben eines gemeinsam: Sie sind geklebt. Insbesondere in der Autoindustrie ist das Verkleben eines der wichtigsten Verfahren, um Einzelteile und unterschiedliche Materialien dauerhaft und formschlüssig zusammenzufügen. Im Bauwesen hingegen kommen Klebverbindungen sehr begrenzt zum Einsatz.
Klaus Kreher, Leiter des Kompetenzzentrums Konstruktiver Ingenieurbau (CCKI) der Hochschule Luzern – Technik & Architektur, sieht einen Grund dafür im eher traditionellen Denken dieser Branche: «Alle Arbeiten sollen möglichst von jedermann auf der Baustelle ausgeführt werden können. Verklebungen sind jedoch sehr anspruchsvoll. Es erfordert spezialisiertes Fachwissen, ein hohes Qualitätsniveau angemessen sicherzustellen.» Hinzu komme, dass es sich bei Bauwerken um Unikate mit objektspezifischen Eigenschaften handle, ergänzt sein Mitarbeiter Gil Schwegler. Bei seriellen Produktionen mit hohen Stückzahlen wie in der Autoindustrie kann der Klebeprozess standardisiert und deshalb kontrollierter und verlässlicher durchgeführt werden.
Bessere Verteilung von Lasten ((Besser verteilte Lasten, weniger Gewicht, tieferer Energieverbrauch))
Dennoch sieht Klaus Kreher vor allem im Verbund- und Leichtbau grosses Potenzial für Verklebungen. Das flächige Kleben von Materialien führt zu einer viel gleichmässigeren Verteilung von Lasten als andere Fügeverfahren. Ausserdem werden die Materialien nicht durchdrungen. Dies macht bei Fassaden einen entscheidenden Unterschied, denn an durchdrungenen, beispielsweise geschraubten Stellen entweicht Wärme. «Mit Verklebungen ist es möglich, solche Energieverluste zu vermeiden», erklärt Kreher.
Nicht zuletzt kann mit Verklebungen gerade im Leichtbau viel Gewicht gespart werden. So wiegt eine Stahlbetondecke mit einer Spannweite von acht Metern pro Quadratmeter ungefähr 300 Kilo. Eine Decke von derselben Grösse in Leichtbauweise – als sogenanntes Verbundelement, bei dem verschiedene Schichten unterschiedlicher Materialien flächig miteinander verklebt werden – hat dagegen ein Gewicht von gerade mal 70 bis 80 Kilo. Und dies, obwohl sie dieselbe Last zu tragen imstande ist.
Giftstoffe vermeiden und Materialgrenzen respektieren
Allerdings birgt die Klebtechnik auch Nachteile. So können Klebschichten Giftstoffe enthalten, zum Beispiel Polyurethane oder Phenolharze. Das Minergie-Eco-Label verbietet deshalb den Einsatz solcher Klebstoffe. Grenzen werden zudem bei gewissen Materialkombinationen erreicht, erläutert Kreher: «Wenn zum Beispiel Glas und Aluminium vollflächig verbunden werden, kann bei Sonneneinstrahlung die spröde Glasschicht versagen, weil die thermische Ausdehnung von Aluminium im Vergleich zu Glas weitaus grösser ist.»
Die Folgen von Wind und Wetter prüfen
Was häufig fehlt, sind zuverlässige Daten für konkrete Anwendungen: Wie sicher ist eine Verklebung, wenn sie Wind und Wetter ausgesetzt ist? Wie viel Belastung erträgt sie ? Mit solchen Fragestellungen wenden sich auch Unternehmen an das Kompetenzzentrum. So erforschte es für einen Storenhersteller, ob es möglich ist, Storen per Klebverbindung an Glasfassaden anzubringen. Die Experten führten entsprechende Prüfungen im Klimaschrank durch, bei denen sie Halter aus Stahl auf Glas klebten und die Verklebung verschiedenen Belastungsproben aussetzten. Ausgehend von diesen Prüfungen wurden Regeln formuliert, unter anderem für die Grösse der Klebfläche und dafür, wie die Glasoberfläche vorbehandelt werden muss.
Auch für Otto Chemie, einen deutschen Klebstoffhersteller, war Klaus Kreher mit seinen Mitarbeitenden im Einsatz. Otto Chemie wollte eine rechnerische Basis dafür haben, wie die Klebfugen für sogenannte Backrails dimensioniert sein müssen. Backrails sind Metallschienen, die auf der Rückseite von Photovoltaikmodulen sitzen, damit diese mit geringem Aufwand montiert werden können. «Wir wollten die von uns praktizierte vereinfachte Berechnungsmethode anhand eines wissenschaftlich erarbeiteten Rechenmodells verifizieren und herausfinden, ob die Grösse der Klebfuge weiter reduziert werden kann», erklärt Jürgen Lutz, Ingenieur bei Otto Chemie.
«Das von der Hochschule Luzern erstellte Modell steigert unsere Kompetenz in Sachen Berechnung von Verklebungen und bringt uns dadurch einen Wettbewerbsvorteil.» Susanne Gmür