Die Schweizerinnen und Schweizer leben immer länger. Viele möchten bis zum Tod in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben. Die Unterstützung von Familienangehörigen wollen und können die meisten nicht in Anspruch nehmen; die Betreuung zu Hause durch ambulante Angebote wie die Spitex ist teuer, und ein grosser Anteil der Kosten muss selbst bezahlt werden. Hinzu kommt der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Dieser ist einerseits verursacht durch den erhöhten Pflegebedarf aufgrund der demografischen Alterung, andererseits durch den Wegfall der Fachpersonen der geburtenstarken Jahrgänge, die ins Pensionsalter kommen und nicht ausreichend ersetzt werden können. «Hier öffnet sich die Nische für Care-Migrantinnen und -Migranten, die pflegebedürftige Menschen zu tiefen Löhnen daheim betreuen und teilweise prekäre Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen», sagen Selina Gabriel und Christina Wüthrich, die gemeinsam eine Bachelor-Arbeit zum Thema verfasst haben. Konkret gingen sie der Frage nach, was die Soziale Arbeit beitragen kann, um der Ausbeutung der Pflegekräfte aus dem Ausland entgegenzuwirken.
Arbeit im Graubereich der Menschenrechte
Die Care-Migrantinnen und -Migranten stammen hauptsächlich aus Osteuropa. Zum grossen Teil sind es Frauen. Viele sind gut ausgebildet, kommen aber meist nicht aus dem Pflegebereich. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in ihrem Heimatland suchen sie eine Arbeit im Westen. Sie verlegen jedoch nicht ihren Lebensmittelpunkt, sondern betreiben die sogenannte Pendelmigration: Sie arbeiten für einige Wochen im Gastland und kehren dann für eine gewisse Zeit in die Heimat zurück. Ihr Job besteht in der Pflege und Betreuung älterer Menschen in deren Zuhause; dazu gehören auch Aufgaben wie Putzen und Kochen. Meist leben sie in den Haushalten, in denen sie arbeiten. Kost und Logis werden ihnen vom ohnehin bescheidenen Lohn abgezogen. Problematisch sind nicht nur die tiefen Löhne, sondern auch die Arbeitszeiten. «Vertraglich festgelegt sind meist sechs, sieben Stunden am Tag, doch die Arbeitsrealität sieht oft ganz anders aus, gerade auch, wenn die Pflegekraft im Haushalt wohnt», erklären Gabriel und Wüthrich. Der Alltag wird von der gepflegten Person bestimmt: Der Tag beginnt, wenn diese aufwacht, er endet, wenn sie einschläft. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit ist fliessend. Viele Care-Migrantinnen und -Migranten haben kaum Kontakte ausserhalb des Hauses. Der Privathaushalt fällt zudem nicht in den Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes. Rechtlich sind Care-Migrantinnen und -Migranten also schlecht abgesichert, was sie anfällig für Arbeitsausbeutung macht, die sich zwischen schlechten Arbeitsbedingungen und Zwangsarbeit bewegt.
Welchen Beitrag können Sozialarbeiterinnen und -arbeiter leisten, um der Arbeitsausbeutung im Care-Bereich einen Riegel zu schieben? Mögliche Massnahmen sehen die beiden Autorinnen der Arbeit beispielsweise im Aufbau von Anlauf- und Beratungsstellen für Care-Migrantinnen und -Migranten, wo diese die Sprache des Gastlandes erlernen oder sich mit anderen Betroffenen vernetzen können. Sozialarbeitende können aber auch politisch aktiv werden, mit Kampagnen sensibilisieren, ihr Fachwissen in Gremien einbringen, gesetzliche Rahmenbedingungen für den Schutz der ausländischen Arbeitskräfte anmahnen. Wüthrich und Gabriel betonen: «Wir Sozialarbeitenden fordern die Menschenrechte für Menschen ein, die das nicht selbst können. Die Arbeitsausbeutung von Care-Migrantinnen und -Migranten tangiert die Menschenrechte und ist deshalb ganz klar ein Handlungsfeld für uns.»