An der Forschungskonferenz 2022 der Hochschule Luzern – Technik & Architektur wurde der Grundstein der Zentralschweizer Netto-Null-Community gelegt. Dabei wurden aus Sicht von Forschung & Entwicklung relevante Handlungsfelder vorgestellt und zusammen mit Entscheiderinnen und Entscheidern aus der Wirtschaft, Industrie und Politik in Workshops kontrovers diskutiert und reflektiert. Die Bereitschaft zum lösungsorientieren Austausch war und ist gross, was zahlreiche Rückmeldungen untermauern.
Dies ermutigt und beflügelt uns zur Fortsetzung dieses Wegs. Wir laden Sie daher herzlich zur Weiterentwicklung unserer Netto-Null-Themenlandschaft ein. Im regelmässigen Austausch wollen wir dabei gemeinsam mit Ihnen Forschungsfragen und -themen konkretisieren und entwickeln. So soll eine Netto-Null-Community der kurzen Wege und innovativen Ideen in und um die Zentralschweiz entstehen, die auf dem Weg hin zu einer klimaneutralen Schweiz proaktiv Massnahmen und Mittel erschliesst, erforscht und entwickelt, die im Ergebnis zu ökologisch und ökonomisch tragfähigen Lösungen führen.
Hierfür bieten sich vorab die nachfolgenden fünf Handlungsfelder an:
Die Dekarbonisierung des Energiesystems wird dann gelingen, wenn sie mit einem holistischen Blick betrachtet wird. Dies bedeutet, dass über den Strombedarf hinaus auch der Energiebedarf zur Produktion von Wärme und Kälte betrachtet wird. Zur Reduktion desselben bedarf es unter anderem neuartiger thermischer Netze, saisonaler thermischer Energiespeicher und intelligenter Regelsysteme zur Einbindung von dezentralen Wärmeerzeugern und Speichern. Zwar finden sich viele dieser Lösungen bereits in einer fortgeschrittenen Phase der technologischen Entwicklung, konnten aber noch nicht umgesetzt werden. Zur Erreichung von Netto-Null muss hier zeitnah die Lücke zwischen Lösung und Markt bzw. Technologie und Praxistauglichkeit geschlossen werden.
Wir stellen daher folgende Forschungsfragen zur Diskussion:
- Wie lassen sich saisonale oder tageszeitabhängige Spitzenlasten im Wärmenetz reduzieren? Welche Massnahmen bieten sich an, durch die der Komfort der Nutzenden nicht beeinträchtigt wird?
- Welche Anreize braucht es aus Sicht der Nutzenden, damit die Systemeffizienz von Wärmenetzen erhöhen werden kann?
- Was braucht es, damit die Integration von Speichern in Gebäuden sowie thermischen Netzen tragfähig gelingen kann?
- Welche Entscheidungsgrundlagen und -instrumente benötigen Planerinnen und Planer, damit sie die Integration von grossen saisonalen Speichern im Wärmenetz vorantreiben können?
Referent: Dr. Willy Villasmil, Institut für Gebäudetechnik und Energie (IGE)
Um das Ziel von Netto-Null zu erreichen, wird eine Fokussierung auf technische Lösungen absehbar nicht ausreichen. Vielmehr müssen alle relevanten Stakeholder aktiv in diese Transformation eingebunden werden (Citizen Empowerment). Durch den Aufbau von lokalen Energiegemeinschaften – sei es auf Ebene der Haushalte, von Gebäuden oder innerhalb von Nachbarschaften – können Synergien gezielt genutzt und erforderliche Veränderungen im täglichen Konsumverhalten herbeigeführt und durch systemische Effekte verstärkt werden. Der partizipative Ansatz ermöglicht es, die Wirksamkeit datenbasierter Informationskampagnen in Bezug zum täglichen Konsumverhalten zu messen. Dies liefert wertvolle Hinweise zur Ausgestaltung lokaler Energiegemeinschaften.
Wir stellen hierzu folgende Forschungsfragen zur Diskussion:
- Welche Vor- und Nachteile bringen lokale Energiegemeinschaften aus Sicht der unterschiedlichen Stakeholder aus der Wirtschaft, Industrie, Politik und Gesellschaft mit sich?
- Welche Form von Energiegemeinschaft führt aus Sicht der genannten Stakeholder zum grösstmöglichen Mehrwert für alle involvierten Akteure?
Referentin: Dr. Yousra Sidqi, Institut für Elektrotechnik (IET)
Der Mensch von heute verbringt den Grossteil seines Lebens in Gebäuden. Der Fussabdruck von Gebäuden ist deshalb kaum vom Fussabdruck ihrer Bewohnerinnen und Bewohner zu trennen. Dabei gilt es zwischen dem «verbauten» Fussabdruck (Embodied Carbon = Material) und jenem aus der Nutzung der Gebäude (Operating Carbon = Energie) zu unterscheiden, wobei über Zeit erstgenannter Fussabdruck an Bedeutung gewinnt. Dies verlangt nun danach, dass die Dekarbonisierung von Gebäuden schon sehr früh mitberücksichtigt wird, was nach einem zirkulären Denken bereits im Rahmen ihrer Planung verlangt (10R-Ansatz). Erst bei der Betrachtung des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes werden die Potenziale für die Dekarbonisierung sichtbar. Auf dem Weg zu Netto-Null gilt es daher, Gebäude als Gesamtheit und als Teil eines Systems zu betrachten.
Wir stellen hierzu folgende Forschungsfragen zur Diskussion:
- Wie sieht ein zukunftsfähiges Gebäude aus? Und welchen Beitrag kann die Gebäudetechnik auf dem Weg hin zu Netto-Null leisten?
- Wo finden sich in und an Gebäuden die Hebel für Suffizienz? Wie müssen Gebäude heute demnach geplant werden, damit sie auch in zwanzig Jahren noch Sinn machen?
- Welche Baumaterialien oder Bauweisen sind in Anbetracht des Klimawandels schon heute überholt?
Referent: Gianrico Settembrini, Institut für Gebäudetechnik und Energie (IGE)
Zur Reduktion neuer CO2-Emissionen müssen Technologien zur Abtrennung und Speicherung von CO2 aus Punktquellen (CCS) eingesetzt werden. Auch sind Negativemissionstechnologien (NET) zur Reduktion historischer CO2-Emissionen samt Carbon Dioxide Removal (CDR) direkt aus der Atmosphäre erforderlich. Ohne den breiten Einsatz derselben werden sich die Ziele der Energiestrategie 2050 des Bundes und des Übereinkommens von Paris nicht erreichen lassen. Bereits heute besteht leider eine grosse Lücke zwischen den mit den Klimazielen korrespondierenden Absenkpfaden und der tatsächlichen Umsetzung.
Wir stellen hierzu folgende Forschungsfragen zur Diskussion:
- Wie können wir in der Schweiz Carbon Capture and Storage Technologien vorantreiben?
- Wie können wir in der Schweiz Carbon Dioxide Removal Technologien etablieren?
Referent: Prof. Dr. Mirko Kleingries, Institut für Maschinen- und Energietechnik (IME)
Regional kann die Dekarbonisierung nur dann gelingen, wenn die Veränderung unter Einbezug aller Stakeholder (Wirtschaft, Industrie, Politik und Gesellschaft) in einer ergebnisoffenen Haltung stattfindet und dabei alle denkbaren technischen Lösungen und Kombinationen auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage betrachtet werden. In einer Energiemodellregion werden innerhalb einer techno-ökonomischen Modellierung daher sämtliche technologischen Potenziale ermittelt und eine auf die regionalen Bedürfnisse abgestimmte, massgeschneiderte Lösung gemeinschaftlich mit den lokalen Anspruchsgruppen entwickelt. Dabei werden mit einem ungetrübten Blick sowohl mögliche Hindernisse als auch Treiber lösungsorientiert identifiziert. Dies bildet dann die Basis zum partnerschaftlichen Aufbau einer kohlendioxidfreien Region.
Wir stellen hierzu folgende Forschungsfragen zur Diskussion:
- Welche Faktoren sind relevant, um ein Gebiet als «Energiemodellregion» zu identifizieren? Was sind erfolgversprechende Kriterien und wer sind die wichtigsten Akteure, die vorab in der Anfangsphase aktiv einzubinden sind?
- Welche Hindernisse auf dem Weg zu Netto-Null gibt es in den Regionen? Und welche Treiber können hier wie und wann aktiviert werden?
Referenten: Prof. Dr. Simon Züst und Prof. Dr. Christoph Imboden, Institut für Innovation und Technologiemanagement (IIT)