Die immobile Unvernunft
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Auf dem öffentlichen Parkplatz vor Ihrem Haus sitzen am reich gedeckten Frühstückstisch ihre Nachbarn und auf einem anderen werden Yogaübungen gemacht. Trotz gültigem Ticket wäre die Irritation gross und ein Aufschrei garantiert. Denn schliesslich parkt man dort Autos, was anders hat keinen Platz. Aber muss das so sein?
Ein Parkplatz ist mehr als nur eine Abstellfläche. Er ist zugleich Symbol eines veralteten Verständnisses von Mobilität. In Zeiten von Carsharing und Homeoffice lohnt es sich, dieses auf seine Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen. Denn ein Fahrzeug, das stillsteht, erfüllt seine Aufgabe nicht und degradiert wertvollen Stadtraum zur Abstellfläche. So ist es nicht verwunderlich, dass die Ära der autogerechten Stadt zu Gunsten eines nachhaltigen Mobilitätskonzepts abläuft. Dabei geht es nicht so sehr darum, ob ein Auto elektronisch oder fossil angetrieben wird, es geht vielmehr darum, Mobilität in der Stadt komplett neu zu denken, den individuellen motorisierten Verkehr drastisch zu reduzieren und Stadtraum neu zu verteilen.
Schon immer waren die Mobilität und ihre Wandlung ein wichtiger Treiber für die Stadtentwicklung. Gerade jetzt sind die Chancen für Veränderungen gewaltig: Homeoffice und die Coronapandemie werden das Einkaufen im Internet noch mehr verstärken. Die Folgen sind gewaltig. Selbst renommierte Warenhäuser in den Innenstädten gehen angesichts von Amazon und Co in die Knie. In Deutschland spricht man bereits von der Verödung der Innenstädte. Ein Parkplatz vor dem Einkaufsladen löst dieses Problem nicht. Stattdessen müssen Innenstädte aufgewertet werden. Dafür benötigen wir Platz, der zum Verweilen und Konsumieren einlädt und dem Besucher mehr bietet als das schnelle Besorgen von Waren. In der Gestaltung der Innenstädte kommt heute ein weiterer Aspekt dazu: Die Folgen des Klimawandels in Form von Hitzetagen und wechselnden Wetterereignissen wie starker Regen oder lange Dürren, erfordern vermehrt Grünzonen und Flächen, die Wasser aufnehmen können auch in der Stadt. Massnahmen, die allen Bewohnern und Bewohnerinnen und auch dem Handel zugutekommen.
Was wäre aber, wenn wir Mobilität kollektiv denken? Wenn wir uns von der fixen Idee lösen, dass alle ihr eigenes Auto brauchen? Klar, der Verzicht auf den Besitz des Wagens muss durch einen Mehrwert auf der anderen Seite kompensiert werden und die Erreichbarkeit des Zielortes garantiert sein. Zum Beispiel durch eine Mobilität, die uns 24h zur Verfügung steht, ohne dass wir Zeit mit der Parkplatzsuche vergeuden, weil Sammeltaxis, Carsharing, Mietvelos etc. das ÖV-Angebot ergänzen. Einsteigen, Aussteigen, wo es einem passt. Und das Gewerbe in der Stadt koordiniert den Lieferservice. Wo früher Parkplätze waren, sind nun Tische, Bänke, Baumalleen oder Velospuren. Ein Miteinander unterschiedlicher Geschwindigkeiten und Nutzungen.
Wohlgemerkt geht es nicht um die Abschaffung von Mobilität in der Stadt, aber es geht um Konzepte, die die Attraktivität unserer Innenstädte wieder erhöhen, die auf veränderte Lebensgewohnheiten reagieren, die Wirtschaft stärken und Stadtraum neu organisieren. Für gelebte Nostalgie ist der Stadtraum zu kostbar. Zum Glück haben wir ja das Verkehrshaus in Luzern. Meines Wissens stehen dort noch ausreichend Parkplätze zur Verfügung – vielleicht auch schon bald als Exponate.