«Las Vegas zur Weihnachtszeit?»
Es leuchtet bunt und grell in unseren Gemeinden: Weihnachten steht vor der Tür. Was früher einmal ein sorgsam dekorierter Weihnachtsbaum im Zimmer war, ist zur blinkenden Lichtinstallation mutiert. Im Garten vor dem Haus geben sich Samichläuse, Elche und gläserne Pinguine ein buntes Stelldichein. Es ist fast schon ein bisschen wie in Las Vegas. Nur bei den Soundeffekten gäbe es durchaus noch Steigerungspotenzial. Ein blökendes Rentier oder der klingelnde Samichlaus würden entscheidende Vorteile im Wettstreit der Nachbarschaften schaffen.
Auch die Architektur bietet Hand. Giebel, Dachrinnen und Fensterläden werden zu strahlenden Trägern blinkender Botschaften und verwandeln das Haus in einen glitzernden Palast aus 1001 Nacht. Es bietet sich ja auch an, lassen sich doch die Lichterketten so gut und akkurat daran befestigen. Nur Schade, dass das Märchenschloss bei Tage dann doch wieder das gewöhnliche Haus ist.
Dieser Verwandlung wohnt doch wahrlich was Wundervolles bei. Vereint im kollektiven Besinnlichkeitstaumel, wird selbst der Nachbar tolerant. Jeder kann, jeder darf und alles ist erlaubt. Individualität wird angestrebt und doch sind die Resultate in ihrem Ausdruck alle gleich grell, bunt und laut. Vielleicht ist die Weihnachtszeit die beste in den nachbarschaftlichen Beziehungen. Was würde aber geschehen, wenn plötzlich sich ein Hase in das Ensemble mischte? Wahrscheinlich würde ein kollektiverer Aufschrei der Entrüstung durch das Quartier gehen, schliesslich hat der Spass ja auch eine ernste Seite.
Es irritiert aber noch was Anderes: Las Vegas liegt in Amerika und hat mit der angestrebten Besinnlichkeit so viel zu tun, wie der amerikanische Präsident mit dem Klimaschutz. Dass es aber auch anders gehen kann, zeigen heimische Gebräuche wie zum Beispiel Claustrychle, Geisslechlöpfer, Iffele oder Adventsfenster. Sie basieren auf einer kulturell verankerten Tradition und wirken dadurch authentisch. Sie sind spezifisch je nach Region und bringen Menschen zusammen. Gemeinsam wird die Vorfreude auf Weihnachten geteilt und sich auf die Adventszeit eingestimmt. Der blinkende Elektroschrott aus Asien dagegen dient in erster Linie dem individuellen Kommerz. Und er ist in einer Reihe mit den – zumindest bei uns – modischen Zeit-Erscheinungen wie Halloween oder Black Friday einzuordnen. Meiner Meinung nach lässt sich Besinnlichkeit nicht kommerzialisieren. In der Architektur gibt es ein Grundprinzip, welches da lautet: Weniger ist mehr! Vielleicht sollten wir uns gerade zur Weihnachtszeit wieder vermehrt darauf besinnen.
Aber zum Glück hat der Spuk ja auch mal ein Ende. Dann wird der Stecker gezogen, der Garten und das Haus erscheinen wieder in ihrem gewohnten Gewand. Auf der Agenda stehen dann wieder triste Alltagsthemen wie Energieeffizienz, Lichtverschmutzung oder Rasenmähen. Aber trösten wir uns, denn die Narren stehen bereits schon vor der Türe.