«Der grösste Fehler im Krisenmanagement ist, nicht vorbereitet zu sein.» Das sagt Daniel Schlup und er muss es wissen, denn er ist seit über zehn Jahren Leiter Notfall- und Krisenmanagement bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Damit hat er die Fachführungsverantwortung für die Einsatzbereitschaft der Notfallstäbe, des Krisenstabs und diverser Center of Competence. Von seinem geballten Wissen profitieren aber auch die Teilnehmenden des CAS Krisenmanagement und Organisationale Resilienz.
Herr Schlup, was genau sind Ihre Aufgaben als Leiter Notfall- und Krisenmanagement der SBB?
Ich bin verantwortlich für das konzernweite Notfall- und Krisenmanagement und damit für die Befähigung und Einsatzbereitschaft der Stäbe und Kompetenzzentren. Meine wichtigste Aufgabe im normalen Arbeitsalltag ist das Monitoring der Lage: Was könnte markante Auswirkungen auf unseren Kernauftrag, also den Personen- und Gütertransport, haben? Das kann eine Strommangellage sein, die Stahlknappheit aufgrund des Ukrainekriegs oder eine Ransom-Ware-Problematik. Das bedeutet: Ich bereite alles für eine etwaige Krisensituation vor, damit ich im Ernstfall auf Knopfdruck eskalieren könnte. Eine wichtige Aufgabe ist zudem auch die permanente Aus- und Weiterbildung der eingesetzten Personen.
Was war die bisher grösste Herausforderung für Sie im Krisenmanagement?
Wirkliche Krisen, in denen der Kernauftrag gefährdet gewesen wäre, hatten die SBB in meiner Zeit zum Glück bisher nicht. Die Corona-Pandemie war für uns keine eigentliche Krise, da wir unseren Kernauftrag weiterführen konnten: Die Züge fuhren immer, wenn auch mehrheitlich fast leer.
Während der Corona-Pandemie hat sich jedoch das Krisenmanagement nachhaltig verändert: Früher mussten die persönlichen Befindlichkeiten der Mitarbeitenden in der Krise in den Hintergrund treten; heute werden sie deutlich stärker gewichtet. Das hat unter anderem direkt mit der Corona-Krise zu tun, von der viele persönlich betroffen waren: Sie waren selbst krank oder hatten kranke Familienangehörige zu Hause oder gar im Spital. Deshalb geht man heute im Krisenmanagement achtsamer mit persönlichen Bedürfnissen um als vor Corona.
Die grösste Herausforderung bei meiner Arbeit sehe ich darin, dass kritische Ereignisse heute aus allen möglichen Ecken kommen, und das auch noch gleichzeitig oder in schneller Folge. Zwischen den Ereignissen gibt es komplexe Abhängigkeiten. Die Ungewissheit – oder wie wir es im Krisenmanagement nennen: die Uncertainty – hat deutlich zugenommen. Es gibt kaum mehr ruhige Phasen: Das bringt das System und die Menschen an Grenzen, denn beides kann nicht konstant im 24/7-Alert-Modus laufen.
Was sind für Sie die drei wichtigsten Erfolgsfaktoren für gutes Krisenmanagement?
Erstens muss man eine gute Resilienz im Unternehmen aufbauen. Dafür muss man die «Hausaufgaben» machen, sprich: alles tun, um für besondere und ausserordentliche Lagen bis hin zur Krise vorbereitet zu sein. Der Ernstfall muss immer wieder trainiert und geübt werden. Der grösste Fehler im Krisenmanagement ist, nicht vorbereitet zu sein.
Zweitens: Wissen und Vertrauen erleichtern die Zusammenarbeit. Jedes Unternehmen kann von einer Krise betroffen sein. Es sitzen also alle im gleichen Boot, und deshalb ist der Austausch mit anderen Unternehmen enorm wichtig. Lassen Sie mich ein Beispiel machen: Der grösste Feind einer Schreinerei ist das Feuer. Wenn man aber frühzeitig vereinbart hat, dass man im Brandfall in der Schreinerei des Nachbarn arbeiten kann, verliert das Ereignis etwas von seinen Auswirkungen auf den Erfolg eines Unternehmens.
Und drittens braucht man als Krisenmanager*in «management attention», also die Aufmerksamkeit und das Verständnis der obersten Führungsriege. Um eine Krise zu bewältigen, muss das Management innert kürzester Zeit Personal und Mittel dafür freigeben.
Weshalb braucht es ein CAS Krisenmanagement und Organisationale Resilienz, wie es die Hochschule Luzern nun anbietet?
Man muss den Zeit- und Entscheidungsdruck einer Krise einmal am eigenen Leib gespürt haben, um zu wissen, wovon man spricht. Theorie ist schön und gut, aber man muss praktisch üben können. Übung und Praxisbezug werden in dieser Weiterbildung grossgeschrieben, und diesen Ansatz finde ich richtig und wichtig. Die Teilnehmenden werden in Krisenübungen und Real-Time-Assessments geschult. Deshalb habe ich gerne zugesagt, mit den CAS-Teilnehmer*innen eine Krisenübung bei den SBB zu machen. Auf diesen Austausch freue ich mich.
Interview: Eva Schümperli-Keller