Beat Hauenstein: Die ganze Schweiz spricht vom Fachkräftemangel. Was genau versteht man darunter und woher kommt er?
Christoph Hauser: Das ist tatsächlich so. Viele Unternehmen leiden stark darunter - für viele ist der Fachkräftemangel Engpass Nummer 1. Es gibt mehrere Ursachen dafür. Grob aufgeteilt gibt es langfristige volkswirtschaftliche Ursachen, aber auch kurzfristige konjunkturelle.
Was sind die längerfristigen Ursachen?
Was man momentan stark spürt, und was zunehmen wird sind die Auswirkungen der Demografie. Die Babyboomer kommen ins Pensionsalter und fehlen zunehmend auf dem Arbeitsmarkt. Die Alterskategorien ab 20, 25 Jahren, eventuell auch etwas älter, treten zwar in den Arbeitsmarkt ein - es sind aber nicht so viele. Es treten also mehr aus als ein. Wir haben so Jahr für Jahr ein Defizit, so dass wir nicht nur einen Fachkräftemangel haben, sondern auch einen generellen Arbeitskräftemangel.
Sie haben auch die Konjunktur erwähnt. Was für eine Rolle spielt die für den Arbeitsmarkt?
Auf dem Arbeitsmarkt haben wir momentan Hochkonjunktur. Das mag vielleicht überraschend sein, denn wir haben viele konjunkturelle Probleme. Denken wir mal an die Wirren des Kriegs in der Ukraine, offene Energiefragen etc. Das alles belastet die Wirtschaft. Man muss aber auch wissen, dass der Arbeitsmarkt stets hinterherhinkt. Momentan haben wir noch immer die Situation einer boomenden Konjunktur. Sie hinkt etwas hinterher, weil die Leute nicht sofort entlassen werden, wenn ein Unternehmen in Schwierigkeiten gerät.
Was für eine Rolle spielt die Pandemie?
Sie spielt eine indirekte, aber wichtige Rolle. Sie ist in dem Sinne ja bereits vorbei. Aber viele Regierungen haben zu Beginn der Pandemie in Europa und den USA die Wirtschaft zu Recht massiv unterstützt. Wir hätten sonst einen viel grösseren Einbruch gehabt. Diese Unterstützung hat im Nachhinein betrachtet zu einer bestimmten Überhitzung geführt, die sich unter anderem in der Inflation äussert. Aber sie äussert sich eben auch in einem überhitzten Arbeitsmarkt. Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist somit grösser als das Angebot. Was man hinzufügen muss: In den USA spricht man von der «Great Resignation», der «grossen Resignation». Viele Arbeitnehmende haben während der Pandemie erkannt, dass sie ihre Balance zwischen Arbeit und Freizeit neu einrichten möchten. Sie haben die Freizeit entdeckt und ihre Bereitschaft zu arbeiten ging zurück - deshalb das Wort “Resignation”. Möglicherweise spielt das auch bei uns eine Rolle.
Das heisst, dass Arbeitnehmende vermehrt Teilzeit arbeiten und Zeit für sich selbst haben möchten - und dann im Beruf fehlen?
Genau. Die Arbeitnehmerinnen und -nehmer sind aktuell am längeren Hebel, wenn es um die Höhe ihres Pensums geht. Das führt natürlich dazu, dass das Volumen der gearbeiteten Stunden in der Volkswirtschaft tendenziell zurückgeht.
Viele Betriebe suchen verzweifelt nach Arbeitnehmenden. Was hat die Politik für Möglichkeiten, um diesen Firmen zu helfen?
Es gibt nicht nur eine entscheidende Massnahme, sondern eher ein Paket von Massnahmen. Wichtig ist beispielsweise, dass die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen mit Familie erhöht werden kann. Das wiederum bedeutet, dass Familienbetreuungsangebote geschaffen werden müssen.
Ein anderer Ansatz muss darin bestehen, Arbeitnehmende im Alter über 55 Jahre im Arbeitsmarkt zu halten – und möglichst auch über das Pensionsalter von 65 Jahren hinaus. Das schlägt der Bundesrat auch vor.
Was können einzelne Betriebe tun, um besser über die Runden zu kommen?
Je nach Betrieb und je nach fehlenden Berufen gibt es verschiedene Ansätze. Eine einfache Antwort wäre, die Löhne zu erhöhen. Löhne sind aber nur ein Faktor. Man kann auch auf andere Art und Weise attraktiver werden.
Zum Beispiel, dass ein Job bewusst Lernmöglichkeiten bietet, ein gutes Umfeld miteinschliesst, eine kollegiale Firmenkultur herrscht etc. verfügt, und dass man auch darüber spricht. Man kann aber auch mit einem ganz anderen Ansatz vorgehen. Man kann die Arbeit anders gestalten und sie produktiver machen, zum Beispiel, indem neue Technologien eingesetzt werden. Die Digitalisierung ist ein Thema. Dann wird jede gearbeitete Stunde produktiver.
Christoph Hauser, herzlichen Dank für das Gespräch.