Steigende Benzinpreise, Gedränge im öffentlichen Verkehr und überfüllte Strassen in den Innenstädten: Es gibt viele Gründe, warum es sich lohnt, für den Arbeitsweg das Velo zu wählen. Ein Forschungsteam der Hochschule Luzern hat über 11'000 Alltagsvelofahrerinnen und Alltagsvelofahrer nach ihrem Fahrverhalten befragt. Alle Befragten haben schon einmal an einer bike-to-work-Challenge von Pro Velo mitgemacht und steigen grossmehrheitlich mehr als einmal pro Woche aufs Velo.
Die meisten Befragten (93 Prozent) gaben an, dass sie das Velo für den Weg zum Arbeitsplatz, bzw. Ausbildungsort nutzen. Als Fortbewegungsmittel in der Freizeit nutzen es drei von vier Befragten. Die Hälfte nutzt ein Velo zur sportlichen Betätigung. Bereits 43 Prozent der Alltagsvelofahrerinnen und Alltagsvelofahrer haben ein motorisiertes Velo – der grösste Teil von ihnen als Ergänzung zum herkömmlichen Fahrrad. Ausschliesslich ein motorisiertes Velo besitzen 13 Prozent.
Ausbaupotential bei der Infrastruktur
Das Forschungsteam hat die befragten Personen gebeten, das Velo als Fortbewegungsmittel zu bewerten. Auf einer Skala von 1 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft voll und ganz zu) haben die Befragten verschiedene Aussagen über das Velofahren beurteilt. Das Velo wird als unkompliziertes Fortbewegungsmittel wahrgenommen und die Befragten gaben an, die Gesundheitsvorteile zu schätzen (4.6). Ein Vorteil, der von vielen wahrgenommen wird, ist, dass man beim Fahrradfahren Zeit sparen kann (4.0). Beim Geld sieht es anders aus: Die Motivation, durch das Velofahren Geld zu sparen, wird eher tief bewertet (3.4). Von allen Aspekten die tiefsten Werte weist die Zufriedenheit mit der Infrastruktur für Velos auf (3.3). Interessant: Die mässige Zufriedenheit mit der Infrastruktur hat gemäss der Befragung keinen Einfluss darauf, wie häufig die Nutzerinnen und Nutzer während des Jahres zum Velo greifen. «Die Vielfahrerinnen und Vielfahrer scheinen sich mit den gegebenen Bedingungen arrangiert zu haben», sagt Marcel Zbinden, Co-Studienautor und Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Luzern. Weitere Studien von Pro Velo deuten laut des Experten darauf hin, dass sich ungenügende Velowege vor allem bei Personen, die sich nur gelegentlich auf den Sattel schwingen, negativ auf deren Velofahrhäufigkeit auswirkt.
Als Treiber für häufiges Velofahren ortet die Studie insbesondere die Tatsache, dass das Velofahren für die Befragten als Teil des eigenen Lifestyles wahrgenommen wird. Ein weiterer wichtiger Motivator, wieso häufig zum Fahrrad gegriffen wird, ist das Einsparen von Zeit. «Das Fahrrad wird grundsätzlich als sehr unkompliziertes und flexibles Verkehrsmittel wahrgenommen. Deshalb eignet es sich gut für den Arbeitsweg», so Zbinden.
Was passiert, wenn es kalt wird?
88 Prozent der Befragten fahren mehrmals wöchentlich mit dem Velo zur Arbeit oder Ausbildung. Auch im Winter steigen immer noch 65 Prozent aller Alltagsvelofahrerinnen und Alltagsfahrer für den Arbeitsweg mehrmals wöchentlich auf das Velo. Fast drei von vier Personen (73 Prozent), die für ihren Arbeitsweg regelmässig das Fahrrad nehmen, können ihre Arbeitswegroutine auch bei Kälte und teilweise widrigen Umständen durchziehen. «Wenn man bedenkt, dass das Velo in der Bevölkerung noch häufig als Schönwetter-Fortbewegungsmittel betrachtet wird, ist das doch ein sehr hoher Wert», sagt Zbinden.
Ein Grossteil der Befragten (88 Prozent) fährt von Frühling bis Herbst täglich oder mehrmals pro Woche mit dem Velo zur Arbeit oder Ausbildung. 73 Prozent von ihnen tun das auch im Winter, während nur gerade sieben Prozent derjenigen Personen, die im Sommer regelmässig mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, im Winter das Velo ganz in der Garage lassen. (Abbildung 1: Wie häufig fahren Sie mit dem Velo zur Arbeit oder Ausbildung?; zum Vergrössern auf die Grafik klicken)
Wer jetzt denkt, dass dies mit dem Aufkommen der E-Bikes zusammenhängen könnte, liegt falsch. «Ein E-Bike führt nicht automatisch dazu, dass der innere Schweinehund im Winter besser überwunden werden kann», so der Wirtschaftspsychologe. Vergleicht man diejenigen Befragten, die kein E-Bike für den Alltag besitzen (7'319 Personen) mit denen, die Zugang zu einem E-Bike haben (3'719 Personen), fällt auf: Die durchschnittliche Nutzung des Velos von Frühling bis Herbst im Vergleich zum Winter nimmt bei den Nutzerinnen und Nutzern von E-Bikes stärker ab als bei denjenigen ohne E-Bike. Bei den E-Bike-Besitzenden sinkt die Nutzung des Velos von 15.5 Tagen pro Monat in der warmen Jahreszeit um 31 Prozent auf 10.3 Tage im Winter. Bei den Personen, die kein E-Bike für den Alltag besitzen, sinkt die Nutzung lediglich um 24 Prozent, von Durchschnittlich 14.5 auf 11.1 Tage im Monat. Die Abnahme ist ausserdem für Menschen – und das ist weniger überraschend – mit langem Arbeitsweg (mehr als zehn Kilometer) deutlich grösser (35 Prozent) als für jene mit kurzem Arbeitsweg (bis fünf Kilometer, 19 Prozent).
Anpassungen an die winterlichen Bedingungen
Die befragten Alltagsfahrerinnen und Alltagsfahrer nehmen sich nach eigenen Angaben im Winter mehr Zeit für die Velofahrt inklusive Vorbereitung als in den wärmeren Jahreszeiten: 51 Prozent von ihnen planen im Winter mehr Zeit zum An- oder Umziehen ein und 43 Prozent fahren langsamer. Die Pflege des Velos ist ebenfalls relevant. Es wird öfter gewartet (48 Prozent) und gereinigt (28 Prozent) als in den wärmeren Jahreszeiten. Auch Sichtbarkeit ist ein Thema. Zwei von fünf Personen gaben an, hellere Kleidung zu tragen, und fast ein Viertel (24 Prozent) verwendet im Winter eine stärkere Lampe. Weniger häufig passen die Befragten andere Veloteile der Jahreszeit an. Es werden nur von den wenigsten Pneus (zehn Prozent), Reflektoren (15 Prozent) oder andere Teile wie Schutzbleche (acht Prozent) ausgewechselt. «Spannend ist, dass es dabei durchaus beträchtliche Geschlechterunterschiede gibt», mein Larissa Dahinden, Co-Studienautorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Luzern. So treffen gemäss der Studie Männer öfter Vorkehrungen im Bereich «Hardware», wohingegen Frauen eher auf einen sichereren Fahrstil und genügend Zeit setzen.
Zufriedenheit mit der Infrastruktur im Winter deutlich wichtiger
Die HSLU-Forschenden haben auch untersucht, was den grössten Einfluss darauf hat, dass die befragten Personen auch im Winter regelmässig aufs Velo sitzen. Wenig überraschend: Der Zeitvorteil hat einen kleineren Einfluss als beim Velofahren unter dem Jahr. «Im Winter benötigt man mehr Zeit fürs Anziehen und für sonstige Vorbereitungen. Die Zeiteinsparung ist deshalb generell kleiner», so Dahinden.
Was im Winter plötzlich auch einen signifikanten Einfluss auf die Häufigkeit des Velofahrens hat, ist die Zufriedenheit mit der Infrastruktur. «Während eine mangelhafte Infrastruktur im Sommer ein hinnehmbares Übel ist, wird das im Winter zum kritischen Faktor», ist sich die Expertin sicher.
Je zufriedener die Velofahrerinnen mit der Infrastruktur sind und je stärker sie motiviert sind, durch das Velofahren Zeit zu sparen (jeweils über das ganze Jahr betrachtet), desto häufiger pendeln sie im Winter mit dem Velo. Andererseits wirken sich das allgemeine Sicherheitsgefühl und das Schätzen der Gesundheitsvorteile des Velofahrens negativ auf die Häufigkeit des Velofahrens im Winter aus. (Abbildung 2: Welche Faktoren haben einen positiven, negativen oder gar keinen Einfluss auf die Häufigkeit der Velonutzung im Winter?; zum Vergrössern auf die Grafik klicken)
Potential für Velofahren im Winter noch nicht ausgeschöpft
Im Rahmen der HSLU-Studie hat das Forschungsteam verschiedene Fördermassnahmen für das Velofahren im Winter untersucht. «Oftmals helfen schon kleine Anreize, um Menschen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen», sagt Marcel Zbinden. Der Konsumentenforscher spricht dabei vom sogenannten Nudging – einem gängigen Begriff in der Wirtschaftspsychologie. Solche kleinen Anstupser könnten beispielsweise sein, dass Mitarbeitende eines Unternehmens bei Erreichung festgesetzter Velofahrziele einen zusätzlichen Ferientag erhalten oder Versicherungsnehmende von Vergünstigungen bei der Zusatzversicherung profitieren. Auch das simple Festhalten der eigenen Velofahrzeit oder eine Challenge mit Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen können motivierend wirken. Die HSLU-Forschenden haben die Wirksamkeit dieser Anreizsysteme mit einem Experiment untersucht. «Erstaunlicherweise haben allesamt ein signifikantes Potenzial für eine Zunahme des Velofahrens im Winter aufgezeigt», so Zbinden.
Die befragten Personen weisen grossmehrheitlich eine deutliche Absicht auf, im Winter mehr Fahrrad zu fahren. Diese Verhaltensabsicht bedeutet aber nicht automatisch, dass auch eine Mehrheit von ihnen ihr Verhalten dann auch tatsächlich ändern würde. «Das ist ein häufiges Phänomen in der Konsumentenforschung», sagt Zbinden. Man spricht hier vom sogenannten «Attitude-Behavior-Gap» – also von der Diskrepanz zwischen dem beabsichtigten und dem tatsächlichen Verhalten. Trotzdem deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sich ein weiterer Infrastrukturaufbau im Bereich Velowege und -parkplätze lohnen würde. Marcel Zbinden: «Die Bereitschaft, auch im Winter mehr Velo zu fahren, ist bei den Alltagsvelofahrerinnen und Alltagsvelofahrern klar vorhanden.»
Forschungsprojekt zum nachhaltigen Konsumverhalten
Zielsetzung der vorliegenden Studie der Hochschule Luzern ist es, zu untersuchen, wie Menschen das Velo im Winter im Vergleich zum restlichen Jahr nutzen. Insbesondere soll gezeigt werden, welche Anreize das Velofahren im Winter attraktiv machen und welche Barrieren bezüglich der Velonutzung im Winter bestehen.
Befragt wurden 11‘038 Alltagsvelofahrerinnen und Alltagsvelofahrer in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz, die in der Regel mehrmals wöchentlich aufs Velo steigen.
Die Studie ist Teil eines Forschungsprojekts zum nachhaltigen Konsumverhalten des Instituts für Kommunikation und Marketing IKM der Hochschule Luzern. Das Forschungsteam besteht aus Marcel Zbinden, Dominik Georgi, Carmen Grebmer, Larissa Dahinden und Laura Oswald.