Overview
Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, die freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Schutz der sexuellen Integrität gehören zum Kern der Grund- bzw. Menschenrechte, wie es die Behindertenrechtskonvention (BRK) in entsprechenden Artikeln explizit formuliert. Die Schweiz als Vertragsstaat ist auf diesem Hintergrund gefordert, einen gleichberechtigten Zugang zu Informationen und Hilfsangeboten in Themen der sexuellen Gesundheit analog zur Allgemeinbevölkerung zu gewährleisten. Das Forschungsprojekt fasste den aktuellen Forschungsstand zu Themen sexueller Gesundheit bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen zusammen und gab einen Überblick zur gegenwärtigen Versorgung der öffentlich geförderten ambulanten Angebote zu sexueller Gesundheit in der Deutschschweiz in den Arbeitsfeldern der Behindertenhilfe, sexuelle Gesundheit sowie der Opfer- bzw. Täterberatung. Darüber hinaus beschrieb es vor dem Hintergrund einer Bedürfnisanalyse von Menschen mit kognitiven Einschränkungen deren Bedarf im barrierefreien Zugang zu Information und Kommunikation hinsichtlich Verfügbarkeit, Zugang, Annehmbarkeit und Qualität sowie Partizipation in Angeboten.
Die in der Deutschschweiz zwischen 2013 und 2015 erhobenen Daten zu öffentlich zugänglichen Angeboten sexueller Gesundheit für erwachsene Menschen mit kognitiven Einschränkungen zeigen in den drei Arbeitsfeldern Behindertenhilfe, sexuelle Gesundheit und Opfer- bzw. Täterberatung eine allgemeine Verfügbarkeit solcher Angebote. Sie decken sowohl die grossen Städte wie auch die ländlichen Gebiete ab. Es gibt jedoch Unterschiede in Art und Umfang der Angebote in den Deutschschweizer Kantonen. Hier bestehen verschiedene wichtige Bedarfslücken, wie fehlende Begegnungsangebote, die näheres Kennenlernen ermöglichen und dabei die unterschiedlichen Bedürfnisse sexueller Orientierungen berücksichtigen. Zudem sind Informationen und Kommunikation für Menschen mit kognitiven Einschränkungen nicht ausreichend an diese adressiert, indem sie beispielsweise in leichter Sprache verfasst sind. Dasselbe trifft auf die physische Umwelt zu, deren Barrierefreiheit oft nicht oder nur unvollständig gewährleistet ist. Unsere Forschung zeigte zudem, dass es erst wenige Fachpersonen gibt, die sich sowohl für das Thema Behinderung als auch im Thema Sexualität beruflich qualifiziert haben. Ausserdem wurde ersichtlich, dass die Partizipation von Menschen mit kognitiven Einschränkungen in der Zusammenstellung, Durchführung und Evaluation von Angeboten noch deutliches Entwicklungspotential hat. Zusammenfassend ist ein erheblicher Handlungs- bzw. Nachholbedarf der Einrichtungen in der angemessenen Realisierung des gleichberechtigten Zugangs zu Angeboten und Dienstleistungen der sexuellen Gesundheit für Menschen mit kognitiven Einschränkungen festzustellen.