Aufzeichnung: Eva Schümperli-Keller
«Bis 17 hatte ich eine sehr glückliche Kindheit. Dann kam der Krieg und hat mir mein Land genommen. Dagegen habe ich mit vielen anderen auf den Strassen protestiert, obwohl wir befürchten mussten, dass auf uns geschossen wird. Das hat mein weiteres Leben geprägt. In meiner Familie war Politik immer ein wichtiges Thema. Meine Eltern und wir fünf Kinder wohnten gemeinsam mit weiteren Verwandten in einem grossen Haus im kurdischen Autonomiegebiet Rojava in Syrien. Zu Hause sprachen wir nur Kurdisch. Deshalb war es ein kleiner Kulturschock, als wir 2002 nach Damaskus zogen. Ich musste zuerst einmal Arabisch lernen und begann dann ein Jura-Studium an der Universität.
Als ich 2015 mitten im Krieg ein Aufgebot für den Militärdienst erhielt, tauchte ich wie Tausende andere junge Männer unter, um nicht eingezogen zu werden. Eine Weile ging das gut, doch dann wurde ich vom IS persönlich bedroht und entschied mich zur Flucht. Niemand trifft eine solche Entscheidung leichtfertig; niemand lässt frei- willig alles zurück und fängt irgendwo bei null wieder an. Zum Zeitpunkt, als ich mich auf den Weg machte, sah ich keine Alternative zur Flucht. Im August 2015 nahm ich die Balkanroute, mehrheitlich zu Fuss. In Budapest strandete ich zusammen mit vielen anderen geflüchteten Menschen, weil man uns nicht weiter- reisen lassen wollte und die Rede davon war, dass Ungarn die Grenzen schliessen und uns internieren wolle. Ich wurde Mitorganisator des ‹March of Hope›, mit dem wir uns die Einreise nach Österreich erstritten. Wir brachen zu Fuss Richtung österreichische Grenze auf, und die österreichische Regierung erlaubte uns schliesslich unter dem Druck der Berichterstattung der Medien die Einreise. In Österreich kam ich ein paar Tage bei einem Freund unter und reiste dann per Zug weiter in die Schweiz, wo ich an der Grenze verhaftet und in ein Durchgangszentrum gebracht wurde. Mein jüngerer Bruder war ein paar Wochen vor mir in die Schweiz geflohen und lebte in einer Unterkunft für Minderjährige. Obwohl ich immer wieder auf unsere Verwandtschaft hinwies, durfte ich ihn erst vier Monate nach meiner Einreise sehen.
Nun lebe ich seit fünf Jahren in Zürich und fühle mich hier heimisch. Richtig angekommen bin ich aber eigentlich erst, als ich die Aufnahme ans Departement Soziale Arbeit der Hochschule Luzern geschafft habe. Das gab mir nach einigen schwierigen Jahren endlich wieder eine Perspektive. Ein Jura-Studium an der Universität konnte ich in der Schweiz nicht aufnehmen, weil meine syrische Matura nicht anerkannt wurde. Meine ehrenamtliche Arbeit brachte mich auf das Studium der Sozialarbeit – Recht, Volkswirtschaft, Psychologie, Kommunikation: Es ist von allem etwas dabei; das gefällt mir. Ich studiere Teilzeit, weil ich doch noch etwas länger zum Lesen und Schreiben deutscher Texte benötige, aber auch, weil ich genügend Zeit für die Freiwilligenarbeit haben möchte.
Ich engagiere mich in diversen Projekten, zum Beispiel beim ‹Alarmphone›, einem Meldetelefon für Flüchtlinge in Seenot, sowie als Mitglied einer Besuchsgruppe für Geflüchtete im Durchgangszent- rum, denen ich aus eigener Erfahrung praktische Tipps geben kann und ihnen signalisiere: Ich bin für dich da. Solche Besuche hätte ich damals selber sehr geschätzt. Ausserdem schreibe ich für die ‹Papierlose Zeitung› und arbeite im ‹Kafi Klick› mit, einem Internetcafé für Armutsbetroffene. Durch die Freiwilligenarbeit habe ich viele wunderbare Menschen kennen- gelernt, meine Deutschkenntnisse verbessert und besser verstehen gelernt, wie die Schweiz tickt. Aber ich bin nicht freiwillig freiwillig geworden, sondern weil ich all das Unrecht nicht mehr ausgehalten habe. Wo ich später arbeiten möchte, weiss ich noch nicht. Am liebsten irgendwo, wo ich die Menschen befähigen und emanzipieren kann.»
Bachelor in Sozialer Arbeit, Studienrichtung Sozialarbeit
Das Bachelor-Studium vermittelt das Basiswissen für alle Bereiche der Sozialen Arbeit und fokussiert dann auf die drei Studienrichtungen Sozialarbeit, Soziokultur und Sozialpädagogik. Sozialarbeitende unterstützen Menschen darin, ihr Leben zu bewältigen und selber zu gestalten. Das Studium kann in Vollzeit, Teilzeit oder berufsbegleitend absolviert werden.
Weitere Informationen: hslu.ch/bachelor-sozialearbeit