Anette Eldevik
2009 zog die Stiftung Swisscontact im Auftrag der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) die Hochschuldozenten Peter Stade und Bernard Wandeler für ein Berufsbildungsprojekt bei. Die Anfrage aus Albanien erfolgte im Zuge der Roma-Dekade des Europarats und mit dem Ziel, die Stellung der marginalisierten Roma-Bevölkerung in Osteuropa zu verbessern. Was damals niemand ahnte: Daraus sollte nicht nur ein zehnjähriges Engagement, sondern eine wahre Herzensangelegenheit werden.
Das Konzept
Seit 2010 bilden Stade und Wandeler in Albanien – und seit 2017 im Kosovo – Job-Coaches aus lokalen NGOs und Arbeitsämtern aus, um Roma und andere Jugendliche beim Einstieg ins Berufsleben zu unterstützen. Keine leichte Aufgabe, denn die jungen Frauen und Männer haben oft wenig Schulbildung, zudem wird ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt durch Diskriminierung erschwert. Umso bedeutsamer ist es, dass die Coaches als Brückenbauer/innen fungieren können. Damit dies gelingt, legen Stade und Wandeler Wert auf Zeit und Praxisnähe. Wenn der einjährige Coaching Cycle mit den Jugendlichen beginnt, haben die Coaches eine dreimonatige Vorbereitung hinter sich. Das Training wird im Laufe des Cycles immer wieder aufgenommen, um neue Inhalte und Erkenntnisse zu reflektieren. Im Rahmen des einjährigen Prozesses sammeln die Jugendlichen zum Beispiel in Schreinereien, Küchen oder Coiffeursalons Erfahrungen, um sich für eine Ausbildung oder Anstellung zu qualifizieren.
Ungewohnte Partizipation
Das Programm «Coaching for Employment and Entrepreneurship» (C4EE) beruht auf soziokulturellen Methoden wie Gruppencoaching und Partizipation. An jedem Modul wurde bislang mit den Trainees gemeinsam gefeilt, obwohl dies für sie gewöhnungsbedürftig war: «Wir hatten kein Betty-Bossi-Rezept zum Nachmachen», erklärt Wandeler. «Denn wir wollten keine Schweizer Lösung, sondern eine albanische bzw. eine kosovarische.» Auch die Jugendlichen erlebten in ihren Gruppen einen Mix aus Befähigung und Wir-Gefühl, was sie sehr motivierte. «Solche Lernumgebungen, in denen man sich wohl- fühlt, sind besonders für benachteiligte Menschen wichtig», sagt Stade.
Aufgrund der jeweils bewusst kleinen Anzahl der Beteiligten entstanden starke persönliche Bande. So bürgten die Coaches auch mal für ihre Schützlinge, wenn potenzielle Arbeitgebende mit der Zusage zögerten. «Viele Vorurteile liessen sich über diese konkreten Erfahrungen dekonstruieren», freut sich Wandeler. Nach zehn Jahren sprechen die Ergebnisse für sich: Von den 3’500 Teilnehmenden der Coaching Cycles haben 60 Prozent eine Anstellung. «Ein festes Einkommen zu haben, wenn man vorher kaum Chancen auf einen Job hatte, verändert die ganze Lebenssituation fundamental», betont Stade. Das Interesse an C4EE ist daher gross: Folgeprojekte im Libanon, in Laos und Marokko sind bereits in Arbeit.
Das «JugendMobil»
Partizipation spielte auch in einem Jugendförderungsprojekt in der Schweiz eine entscheidende Rolle. Das sogenannte «JugendMobil», ein komplett ausgestatteter mobiler Jugendtreff, machte während drei Jahren in vielen Bündner Gemeinden Halt, um die Bevölkerung über das Potenzial professioneller Jugendförderung zu informieren. Zwei Jahre nach Abschluss des von fünf Stiftungen finanzierten Projekts zieht der verantwortliche Dachverband jugend.gr Bilanz: In mehr als der Hälfte der besuchten Gemeinden wurden Stellen und Förderprogramme bewilligt. Damit bewiesen diese Gemeinden Weitsicht. Denn Jugendförderung ist eine Investition in die Zukunft.
Selbstwirksamkeit und Mitgestaltung
Die kreativen Erzeugnisse der Jugendlichen während dieser Tour d’Horizon konnten sich sehen lassen: Gelungene Musikvideos, farbenfrohe Graffiti und vor allem viele begeisternde Auftakt- und Abschlussveranstaltungen zählten dazu. Aber noch wichtiger war der Hinweis auf die übergeordneten Ziele der Jugendarbeit – etwa die Befähigung zur gesellschaftlichen Mitwirkung. Inspiriert durch das «Jugend-Mobil» kam es daher mehrfach vor, dass die Jugendlichen sich selbst beim Gemeinderat für einen neuen Jugendtreff einsetzten und so den politischen Prozess aktiv mitgestalteten. «Das sind Schlüsselmomente, die man nie vergisst, und die sowohl zur Selbstwirksamkeit als auch zur Chancengleichheit aller Beteiligten beitragen», betont Samuel Gilgen, Fachstellenleiter bei jugend.gr. «Diese nonformale Bildung ist ein entscheidender Teil der Jugendarbeit. Sie kann den Bildungsauftrag der Schule ergänzen und auch die Vereinsarbeit, die etwas anders gelagert ist.» Etwas wurde aber über die ganze Projektdauer deutlich: «Man sollte die Jugendlichen bei partizipativen Prozessen nicht allein lassen. Das ‹Jetzt macht mal› mancher Erwachsener kann zu Überforderung führen.»
Auch eine Investition in die Standorte
Die geschaffenen Ressourcen sind ein vielversprechendes Signal für die Zukunft, das im Übrigen auch in Sachen Standortattraktivität nicht zu unterschätzen ist: «Bei den Jungen liess sich eine natürliche Verbundenheit zu ihrem Dorf feststellen», sagt Tom Steiner, der das Projekt seitens der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit begleitet hat. Gerade in Zeiten verstärkter Abwanderung sind ländliche Regionen daher gut beraten, den Wunsch nach Perspektiven vor Ort zu erkennen und durch gezielte Investitionen zu fördern.
«Coaching for Employment and Entrepreneurship»
Mit der Stiftung Swisscontact entwickelte die Hochschule Luzern – Soziale Arbeit ein Coaching-Programm, um arbeitssuchende Roma-Jugendliche zu unterstützen. Seit 2010 wurden in Albanien und im Kosovo 100 Coaches ausgebildet, von 3’500 Jugendlichen sind 60 Prozent mittlerweile angestellt. Projekte im Libanon, in Laos und Marokko sind in Arbeit. Weitere Informationen unter: hslu.ch/c4ee
«JugendMobil»
Mit dem mobilen Jugendtreff war der Dachverband jugend.gr während drei Jahren in Bündner Gemeinden unterwegs, in denen noch keine professionelle Kinder- und Jugendförderung angeboten wurde. Das von fünf Stiftungen finanzierte Projekt wurde von der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit evaluiert. Weitere Informationen unter: hslu.ch/jugendmobil