Interview: Anette Eldevik
Olivier Favre, weshalb legen Sie den Fokus auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen?
Die kantonale Fachstelle für Gesundheitsbildung und Prävention ist viel in Schulen unterwegs, hauptsächlich in der Oberstufe und der Sekundarstufe II. Dort begegnen uns die Themen Leistungsdruck, Stress, Schlafprobleme und die Folgen der digitalen Medien in allen Facetten immer wieder. Dazu hat das Thema «Psychische Gesundheit» in Zug schon eine gewisse Tradition, auch wenn wir natürlich von Amts wegen alle Gesundheitsbereiche abdecken. Der Kanton hat als einer der ersten ein kantonales Programm zum Thema eingeführt.
Haben psychische Probleme in diesem Alter zugenommen? Was sind typische Warnsignale?
Die Datenlage bezüglich Kinder und Jugendliche in der Schweiz ist etwas dünn. Was man aber festgestellt hat: Bereits bei rund der Hälfte der 20- bis 24-Jährigen werden psychische Erkrankungen als Invaliditätsursache angegeben. Es ist also wichtig, frühzeitig vorzubeugen und aufzuklären. Allerdings ist es nicht immer ganz einfach, eine Belastung von einer normalen pubertären Ablösungserscheinung zu unterscheiden. Aber wenn sich das Verhalten des Kindes auf unerklärliche Weise verändert, es sich plötzlich zurückzieht oder die Leistungen drastisch abfallen, dann liegt in der Regel etwas vor.
Die Kampagne für Jugendliche stützt sich auf das Programm «Zehn Schritte für psychische Gesundheit», das 2007 in Zug eingeführt wurde. Was hat es damit auf sich?
Es handelt sich um Denkanstösse für Erwachsene, um zum Beispiel aktiv, kreativ und mit anderen in Kontakt zu bleiben. Damit kann man sich selbst befähigen und vor Hoffnungslosigkeit oder Kontrollverlust im Leben schützen. Das ursprünglich österreichische Konzept, das sich auf Empfehlungen der WHO stützt, wird mittlerweile fast in der ganzen Schweiz eingesetzt.
Wie sind Sie bei der Erarbeitung von «Kennsch es?» und dem dazugehörigen Forschungsprojekt vorgegangen?
Die Grundidee, die «Zehn Schritte für eine psychische Gesundheit» für Jugendliche anzupassen, bestand schon eine Weile. Dann spielte uns der Zufall etwas in die Hände, finanziell durch die Zuwendung einer Stiftung, methodisch durch einen Kurs, den ich bei Andreas Pfister von der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit zum Thema partizipative Gesundheitsforschung besuchte. Dies hat uns dazu veranlasst, die Adaptierung wirklich von Grund auf mit den Jugendlichen zu erarbeiten. Andreas Pfister und Sabrina Wyss haben uns beim Projekt wissenschaftlich begleitet. Diese Zusammenarbeit war sehr befruchtend. Von daher würde ich mir wünschen, solche Kooperationen zwischen Praxis und Wissenschaft kämen mehr zustande.
Unser Team von Jungforschenden bestand aus Auszubildenden sowie Schülerinnen und Schülern im Alter von 14 bis 18 Jahren. Diese waren im Rahmen einer befristeten Anstellung an allen Projektphasen beteiligt: von der Erhebung der psychischen Problemfelder, der Analyse der «Zehn Schritte», der Formulierung der neuen Tipps, dem Schreiben des Forschungsberichts bis hin zur Entwicklung der Botschaften und des Präventionsangebots. «Kennsch es?» selbst entstand im Übrigen zusammen mit den Lernenden einer Agentur, die psychisch belastete Jugendliche ausbildet.
Alle Ergebnisse wurden zudem jeweils von der Zielgruppe gespiegelt. Daher trägt das ganze Projekt die Handschrift von jungen Menschen. Wir Erwachsene gaben somit nur den Rahmen und die Forschungsfragen vor, leiteten an oder vermittelten bei Bedarf bestimmte Kompetenzen. Auch wenn dieses Setting für unsere jungen Kolleginnen und Kollegen sicher ungewohnt war und es insgesamt auch etwas länger dauerte als geplant, gewannen sie mit der Zeit an Sicherheit und konnten thematisch viel für sich und ihr Umfeld mitnehmen.
Was empfehlen die Jungforschenden und welche Präventionsangebote stehen zur Verfügung?
Sie haben insgesamt vier Tipps formuliert. Dazu gehört zum Beispiel, dass man an sich glauben soll, und es unbedingt ansprechen soll, wenn man sich nicht wohlfühlt.
Seit Herbst 2020 führen wir in Real-, Sekundar- und Berufsschulen kostenlos Workshops durch, wo wir diese vier Schritte mit Übungen aus der Positiven Psychologie umsetzen. Als Co-Leitende mit dabei sind wieder Jugendliche – darunter auch ein Mädchen, das seit dem allerersten Projekttag beteiligt ist.
Wie sind die Rückmeldungen?
Es ist gut angelaufen. Das merkt man an der Atmosphäre in den Workshops und den Reaktionen der Lehrpersonen. Ich kann diesen partizipativen Weg nur empfehlen und bin dankbar, dass die Gesundheitsdirektion und das Amt für Gesundheit dies mitgetragen haben. Die Programme werden anschlussfähiger, wenn man die Adressatinnen und Adressaten involviert.
Kampagne «Kennsch es?»
Das Amt für Gesundheit des Kantons Zug untersuchte in einem partizipativen Jugendforschungsprojekt das Thema psychische Gesundheit. Jungforschende entwickelten die «Zehn Schritte für psychische Gesundheit» für Jugendliche weiter und lieferten die Botschaften der Sensibilisierungskampagne «Kennsch es?».
Die Hochschule Luzern – Soziale Arbeit beriet das Team bei der Planung und Durchführung der partizipativen Forschung. Weitere Informationen unter: kennsch-es.ch