Mirjam Wishart-Aregger
Ein enger Durchgang, eine kleine Beschriftung oder ein skeptischer Arbeitgeber: Verschiedene Barrieren können den Alltag von Menschen mit einer Beeinträchtigung erschweren. Neben physischen Hindernissen sind es oft soziale Hürden, wie Ängste, Vorurteile oder Unwissen, die eine Teilhabe in der Gesellschaft einschränken. Um Menschen mit Beeinträchtigungen einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Bildungsangeboten zu ermöglichen, forscht und engagiert sich die Hochschule Luzern zum Thema Barrierefreiheit.
Dazu gehört die Kontaktstelle «barrierefrei» der Hochschule Luzern, die Studierende, Mitarbeitende und Interessierte bei Fragen rund ums Studium mit Beeinträchtigungen unterstützt. Etwa 50 Anfragen gehen pro Jahr ein: «Hauptsächlich wenden sich Personen mit ‹unsichtbaren› Beeinträchtigungen an mich. Gerade für Menschen mit psychischen Schwierigkeiten, ADHS oder Lese- bzw. Rechtschreibschwierigkeiten ist ein Hochschulstudium mit intensiven Lern- und Prüfungsphasen oft mit viel grösserem Aufwand verbunden», sagt Judith Adler, Leiterin der Kontaktstelle. Sie klärt mit ihnen, wo Unterstützungsbedarf besteht und welche technischen, personellen oder didaktischen Anpassungen sie brauchen.
Grosses Expertenteam vorhanden
Zudem steht diesen Studierenden bei Bedarf ein Nachteilsausgleich zu, der ihre Chancengleichheit auf ein erfolgreiches Studium sichert. Dazu gehören individuelle Anpassungen des Studien- oder Prüfungssettings. Judith Adler setzt sich auch für eine hindernisfreie Infrastruktur und für eine Sensibilisierung für die Bedürfnisse der Studierenden ein. Hinter «barrierefrei» steht ein Expertenteam aus Dozierenden des Kompetenzzentrums Behinderung und Lebensqualität der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit. «Wir können auf gebündeltes Fachwissen zurückgreifen. Das ist für die Studierenden und Mitarbeitenden sehr hilfreich und aussergewöhnlich in der Hochschullandschaft.»
Forschende mit Beeinträchtigungen
Judith Adler arbeitet zudem mit der FHS St. Gallen am Forschungsprojekt «SEGEL: Schwierige Entscheide – Gemeinsame Lösungen». Das Besondere: Vier Personen mit einer kognitiven Beeinträchtigung haben als Forschende mitgewirkt. «Wir entwickelten einen Leitfaden für Institutionen der Behindertenhilfe, der zur Anwendung kommt, wenn Mitarbeitende und Erwachsene mit kognitiven Beeinträchtigungen gemeinsam Fragen zur Selbstbestimmung klären und Entscheidungen treffen sollen», sagt Judith Adler. Der Leitfaden ist ab Juli 2020 erhältlich.
Jobperspektiven im Tourismus
Das interdisziplinäre Projekt «Arbeitsfeld Tourismus integrativ (ArTiv)» zeigt grosses Potenzial von Arbeitsplätzen im Tourismus auf: «Ob im Service, in der Gästebetreuung oder hinter den Kulissen – die Branche bietet vielseitige Einsatzmöglichkeiten mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen», sagt Barbara Rosenberg-Taufer, Co-Projektleiterin. Ihr Team hat 70 Interviews mit Mitarbeitenden mit und ohne Beeinträchtigungen, Vorgesetzten, Jobcoaches und weiteren Fachpersonen geführt. Daraus wurde die Website tourismus-mitenand.ch entwickelt, die sich an interessierte Arbeitgeberinnen und -nehmer richtet. «Eine Anstellung lohnt sich für beide Seiten», ist Rosenberg-Taufer überzeugt. Tourismusunternehmen, die oft von Fachkräftemangel betroffen sind, finden so langjährige und motivierte Mitarbeitende. Für diese wiederum bedeutet eine Stelle neben Lohn auch Lebensqualität und Integration.
Fächerübergreifende Forschung
Für «ArTiv» war ein interdisziplinäres Team der Hochschule Luzern im Einsatz: «Da Arbeitsintegration ein fächerübergreifendes Thema ist, haben wir für die Forschungsarbeit Ansätze aus verschiedenen Disziplinen kombiniert. Insbesondere aus der Sozialen Arbeit und den Wirtschaftswissenschaften», erklärt Rosenberg-Taufer. Das Departement Design & Kunst unterstützte den Aufbau der Website und das Departement Wirtschaft war zudem für die Übersetzung in einfache Sprache zuständig. Barbara Rosenberg-Taufer sagt: «Die Zusammenarbeit war sehr bereichernd und sorgte dafür, dass offene Punkte ausdiskutiert wurden und nun fundierte Resultate und ein praxistaugliches Produkt vorliegen.»
Angebote bei schweren Beeinträchtigungen
Ein weiteres Forschungsprojekt der Hochschule Luzern widmet sich Arbeits- und Beschäftigungsangeboten für Menschen mit schweren Beeinträchtigungen. «Es ist oft nicht einfach, gute und sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten für die betreffenden Menschen zu finden. Auch sie haben das Bedürfnis, sich selbst aktiv zu erleben», sagt Projektleiterin Pia Georgi-Tscherry. Ihre Analyse von rund 65 Deutschschweizer Institutionen der Behindertenhilfe zeigt eine gewisse Überforderung beim Thema. «Es muss ein Umdenken stattfinden», ist Georgi-Tscherry überzeugt. «Beschäftigung muss in diesem Kontext nicht heissen, dass etwas produziert wird. Es geht um die Mitwirkung.» Einzelne Institutionen, wie die Stiftung Wagerenhof in Uster machen das in eigens dafür eingerichteten Erlebnisräumen bereits vor. «Wenn ein Mann mit schwerer körperlicher Beeinträchtigung im Liegerollstuhl mithilft, den Transfer auf ein Bett vorzunehmen, dann ist das bereits Arbeit für ihn», so Georgi-Tscherry.
Leitfaden für Institutionen der Behindertenhilfe
Solche Angebote sind zwar zeit- und personalintensiv, doch der Aufwand lohnt sich: «Die Möglichkeit, aktiv mitzuwirken, steigert das Wohlbefinden der Personen und sie zeigen weniger herausforderndes Verhalten», sagt Georgi-Tscherry. Aus den Erkenntnissen wird ein Leitfaden für Institutionen der Behindertenhilfe entstehen. Geplant sind zudem Schulungen für das Personal. Georgi-Tscherry: «Wir wollen aufzeigen, was man mit Menschen mit schweren Beeinträchtigungen in Sachen Arbeit und Betätigung machen kann. Das ist nämlich eine ganze Menge.»