Seit mehreren Wochen dominieren das Corona-Virus und Massnahmen zu dessen Eindämmung unseren Alltag. Das Stichwort der Stunde: Solidarität. Solidarisch mit den älteren Generationen bleiben wir zuhause, solidarisch mit dem Kleidergeschäft in der Nähe kaufen wir Gutscheine oder wir diskutieren die Solidarität über die Grenzen hinaus mit Krisengebieten wie Lesbos oder Jemen, wo geflüchtete Menschen Hygiene- und Distanzvorschriften unter den gegebenen Bedingungen unmöglich umsetzen können. Es entstanden um uns herum nicht nur individuelle Netzwerke der Nachbarschaftshilfe, sondern auch neue Vereine und bestehende Organisationen unterstützen Initiativen.
Solidarität als Leitidee einer Gesellschaft
Solidarität gehört zu den Leitideen unserer Gesellschaft, wie auch Gerechtigkeit oder Freiheit. Diese werden auch in Zeiten vor Corona hochgehalten und immer wieder diskutiert. Dabei ist Solidarität, so ein geflügeltes Wort von Willy Brandt, die bewusste Bereitschaft, durch Selbstbeschränkung die Freiheit aller zu mehren. Diese Bereitschaft kann jedoch nicht verordnet werden, sondern nur geweckt und motiviert. Und gerade heute scheint es, als ob Solidarität als Bereitschaft die eigenen Interessen hinter den Interessen von anderen zu stellen, erneut geweckt und gelebt wird.
Die Idee der Solidarität liegt auch unseren staatlichen Strukturen wie beispielsweise der Krankenversicherung, der AHV oder den progressiven Steuern zugrunde. Diese sind quasi eine Form institutionalisierter Solidarität. Gerade Teile unseres Sozialsystems, wie beispielsweise die Kurzarbeit, helfen im Moment stark mit, bestehende Risiken abzufedern. Mit Lohnabzügen füllen wir alle die Arbeitslosenkasse, aus der die Millionen für die Kurzarbeit nun entnommen werden können.
Aus Krise lernen und Lücken schliessen
Und dennoch zeigen sich in der Krise auch gewisse Lücken. Bald wurde klar, dass selbständig Erwerbende in unserem Sozialsystem nur unzureichend abgesichert sind. Unter normalen Umständen funktionieren ihre Arbeitsarrangements, wie beispielsweise das unregelmässige Einkommen eines freischaffenden Künstlers. Jedoch wird aktuell deutlich, dass unser Sozialversicherungssystem auf bestimmte Lebensformen ausgerichtet ist. So haben wir nun die Chance, bestehende Instrumente an den modernen Arbeitsmarkt anzupassen. Zumindest sollten wir die Frage diskutieren, welche Art der Sicherung untypische Arbeitsformen, die seit Jahren zunehmen, brauchen.
Weitere vulnerable Gruppen, die durch die Corona-Krise sichtbar gemacht werden, sind Obdachlose oder Sans Papiers. So wird die Forderung nach «Stay at Home» surreal für Menschen, die keine eigene Bleibe haben und für ihren Alltag auf das Engagement sozialer Organisationen oder staatliche Angebote angewiesen sind. Und für Menschen ohne gültige Ausweispapiere ist der Gang zum Sozialamt mit besonderem Risiko verbunden, ihre Existenz in der Schweiz zu verlieren. Oftmals sind sie darauf angewiesen, ihr Leben mit so geringem behördlichen Kontakt wie nötig zu gestalten. Trotzdem wären vielleicht gerade sie in der aktuellen Situation auf Hilfe angewiesen. Der Staat kann jetzt beispielsweise Organisationen unterstützen, die im Kontakt mit Sans Papiers stehen. Dies, um auch ihnen ein würdiges Leben in der Krise zu ermöglichen.
Die Verantwortung der Sozialen Arbeit
Die Corona-Krise zeigt uns auf, wo unsere Sozialwerke – basierend auf dem Gedanken der Solidarität – funktionieren. Aber auch, wo das System Löcher hat und durch die Einschränkung auf gewisse Lebensentwürfe Menschen auslässt. Durch die entstandenen solidarischen Netzwerke für Menschen am Rand unserer Gesellschaft sind diese verstärkt in den öffentlichen Blick geraten. Es ist zu hoffen, dass diese Auseinandersetzung uns auch längerfristig die Fragilität der «normalen» Lebensentwürfe aufzeigt und die Möglichkeit ebnet für künftige Diskussionen um fachliche Interventionen und Veränderungen des Sozialstaates. Hier hat die Soziale Arbeit aufgrund ihres Fachwissens und der unmittelbaren Kenntnis der Problemlagen eine besondere Verantwortung. Sie muss aufzeigen, wo und wie die sozialen Strukturen in unserem Sozialstaat weiterentwickelt werden müssen. Dabei ist es notwendig, dass wir auf diese Einsicht in die gegenseitige Wertschätzung und Achtsamkeit, die die Corona-Krise deutlich ermöglicht hat, zurückgreifen können.
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