Janet Stojan
«Studierende sollen bei uns lernen, andere Sichtweisen zu respektieren, ohne diese Meinungen teilen zu müssen, denn Diversity bedeutet auch Meinungsvielfalt», antwortet Daniel Kunz auf die Frage, welche Rolle Diversity in der Lehre spielt. Kunz ist Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit und Beauftragter seines Departements für die Fachstelle Diversity. Diese Fachstelle berät Studierende und Mitarbeitende seit 2002 in Fragen der Gleichstellung, der Vereinbarkeit von Beruf, Studium und Familie oder zu Themen der kulturellen und sozialen Vielfalt. Gleichzeitig setzt die Fachstelle Themen für den Lehrbereich. So soll die Lehre an der Hochschule Luzern den kompetenten und konstruktiven Umgang mit Unterschieden vermitteln und Studierende dahingehend sensibilisieren, dass sie gegenüber anderen Ansichten und Menschen nicht ihren ersten Denkreflexen und Vorurteilen erliegen, sondern ihre Wahrnehmungen reflektieren. «Wenn ich etwas einfordere, grenze ich dann andere aus?» – laut Kunz eine hilfreiche Fragestellung.
Ein All-Gender-WC erfreute fast alle
Dass diese Haltung für alle Beteiligten nicht immer leicht ist, musste auch die Hochschule Luzern – Soziale Arbeit nach der Eröffnung von drei All-Gender-WCs erfahren. Die Signaletik an der Tür zeigt sowohl ein Transgender-Symbol als auch eines für Barrierefreiheit. Einige reagierten darauf mit Unverständnis. Menschen mit einer Behinderung wollten nicht mit Transmenschen, Transmenschen nicht mit Menschen mit einer Behinderung gleichgesetzt werden. Dies zeigt, wie rutschig das Terrain mitunter sein kann. Denn hier liegt eine jener Unschärfen des Themas Diversity, die gelegentlich für angespannte Gesichter sorgen. «Es geht eben um ein Angebot an alle – um ein WC ohne Ausgrenzung», sagt Daniel Kunz, der den betreffenden Personen zuhören und mit ihnen lösungsorientiert ins Gespräch kommen möchte. Er betont, dass Diversity keine Minderheitenpolitik sei und nicht nur einen Antidiskriminierungsansatz verfolge, wie oft vermutet. Es gehe immer um ALLE als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft und Unterschiede im Denken, Handeln und Fühlen müssten wir dabei aushalten lernen.
Studieren mit Beeinträchtigung – eine Frage des Nichtbehinderns
Das trifft auch auf Unterschiede bei Menschen mit einer Beeinträchtigung zu. Eine Frage, die sich die Kontaktstelle «barrierefrei» – seit 2018 an der Hochschule Luzern fest verankert – dabei stellt, ist: Sind Menschen mit Beeinträchtigung behindert oder werden sie behindert? Aus dieser Perspektive heraus beraten die Ansprechpersonen der Kontaktstelle alle Studierenden und Mitarbeitenden der Hochschule Luzern in Sachen Barrierefreiheit. René Stalder ist ebenfalls Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit, verantwortlich für das Kompetenzzentrum Behinderung und Lebensqualität, dem die Kontaktstelle angegliedert ist. Manchmal seien niederschwellige Probleme zu lösen, manchmal aber auch sehr komplexe: Beispielsweise, wenn eine gehörlose Chinesin an der Hochschule Luzern studieren möchte. Im konkreten Fall müssen Mitstudierende und Dozierende gleichermassen sensibilisiert, aber auch technische und strukturelle Voraussetzungen geschaffen werden – wir können inzwischen viel möglich machen.» Stalder ist froh, dass die Themen Barrierefreiheit und Beeinträchtigung an der Hochschule Luzern an Stellenwert gewonnen haben; als Schwerpunkt in der Lehre, in der Forschung und im Haus selbst. «Denn es wäre fatal, wenn nach einer inklusiven Schulbildung potenzielle Studierende ihr Studium bei uns aufgrund einer Beeinträchtigung nicht absolvieren könnten.»
Eine gendergerechte Sprache ohne Zwang
Am Anfang des Verstehens und Bewusstseins für solche Herausforderungen spielt Kommunikation eine zentrale Rolle. Dazu gehört auch die gesprochene und die geschriebene Sprache. Sie ist nichts Statisches, Wörter kommen hinzu, sprachliche Gewohnheiten verändern sich. Auch wenn der Genderstern kein Laut ist, so argumentierte die Dudenkommission dagegen,
könnte er für Daniel Kunz als Interpunktion durchaus hinzukommen. Der Stern würde eine zusätzliche Wahlmöglichkeit schaffen. «Wir von der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit erkennen alle an, ob jung oder alt, männlich oder weiblich, non-binär, trans- oder intergeschlechtlich. Der Stern ist für uns ein Zeichen und Signal zugleich, dass wir diese Anerkennung und den Respekt geben wollen.» Grundsätzlich solle Sprache aber entsprechend der Situation und des Kontextes eingesetzt werden und Realitäten nicht verzerren. «Wir dürfen hierbei nicht in die Ideologiefalle tappen», warnt Daniel Kunz vor einer überzogenen Sprachempfindlichkeit. Wenn in einer Gruppe nur Männer oder Frauen sind, dürfe das mit Sprache auch ausgedrückt werden. Es sei ein Gebot der Situation, was passend ist.
Führen in der heutigen Diversität als grosse Herausforderung
Die Kompetenz, Sprache feinfühlig und kontextbezogen anzuwenden, ist auch im Führungsbereich von hoher Bedeutung – sowohl für Studierende, die auf Führungsaufgaben vorbereitet werden, als auch für die Mitarbeitenden der Hochschule Luzern selbst. Ein grundsätzlicher Aspekt ist dabei der Umgang mit Anerkennung. Die individuellen Ansprüche sind in diesem Feld enorm gestiegen und stellen Führungspersonen vor grosse Herausforderungen. Was für eine Person passt, kann für eine andere unpassend sein. Führungspersonen sollten sich zudem vergegenwärtigen, dass es unbewusst zu Wahrnehmungsfehlern kommen kann, wenn sie ihren individuellen thematischen Fokus auf ihre Mitarbeitenden projizieren und sich so spezielle und damit ungerechte Bevorzugungen ergeben. Wer oder was entscheidet also, was anerkennenswert ist? Für Daniel Kunz ist klar, was Anerkennung finden sollte. «Unsere Währung an der Hochschule Luzern ist die positive Rückmeldung der Studierenden und der Mitarbeitenden, ihre Weiterempfehlungen, ihr erfolgreiches Bestehen in der Praxis und im Arbeitsalltag – das muss in den Fokus, das ist der Mittelpunkt unserer Arbeit.» Diversität unter den Mitarbeitenden und Studierenden begreift die Hochschule Luzern dabei als grosse Chance, als Inspiration und Selbstverständlichkeit. Aber auch als Bereich, der Kompetenzen erfordert. Die Fachstelle Diversity lebt und lehrt das nötige Wissen – seit 17 Jahren.