Janet Stojan
Jugendliche stehen am Anfang ihres Erwachsenenlebens. Schwer belastet kann dieser Start scheitern oder in eine völlig falsche Richtung gehen. Ob ein Leben gelingt oder nicht, hängt manchmal nur an Nuancen. Diese Nuancen zu kennen, sie wahrzunehmen und ihnen kompetent zu begegnen – darin liegt die anspruchsvolle Aufgabe in der beraterischen Tätigkeit. Aber wie geht das? Kann systemische, lösungs- und kompetenzorientierte Beratung dazu einen Beitrag leisten? Was genau brauchen Jugendliche für psychische Stabilität? Antworten darauf suchte und fand Verena Romer in ihrer MAS-Arbeit.
Ständiger Jetlag im jugendlichen Gehirn
Pünktlich aufstehen, Ordnung halten, vorausschauendes
Planen, Impulskontrolle –
all das fällt Jugendlichen in Zeiten der
einsetzenden Pubertät oft sehr schwer.
Hormonelle Veränderungen, Umbauten
bzw. Reifeprozesse im Gehirn und körperliche
Veränderungen sorgen dafür, dass
einiges aus dem Tritt kommt. Nicht selten
stehen Erwachsene oder Eltern den Heranwachsenden
in dieser Phase ratlos gegenüber.
Zugleich steht diese Zeit im Leben
für eine ungeheure Leistungsfähigkeit und
Kreativität. Es ist insgesamt ein sehr
anstrengender Lebensabschnitt, und doch
ist er ein wegweisender Teil einer normalen
Entwicklung vom Kind zum verantwortungsbewussten
Erwachsenen.
Kernfamilie als sozialer Uterus
Nicht nur die Jugendlichen müssen sich
im Rahmen der Adoleszenz auf ständige
Veränderungen einstellen, sondern auch
die Eltern. Es ist eine gemeinsame Zeit der
Entwicklung – im besten Fall verläuft diese
parallel. Bleiben diese Prozesse aus oder
werden sie nur teilweise bewältigt, kann
das langfristige Folgen für die Entwicklung
eines Individuums haben. Die Bedeutung
der Eltern bei der Vermittlung des Urvertrauens
und bei der Einführung in die
Gesellschaft mit all ihren Anforderungen
ist fundamental: anwesend sein, Lernmöglichkeiten
geben, unterstützen. Nicht alle
Eltern können ihren heranwachsenden
Kindern diesen Rahmen bieten. Aber auch
Schulprobleme oder negative Erfahrungen
im sozialen Kontext mit Gleichaltrigen
können zu Entwicklungsblockaden führen.
Hier setzt die lösungs- und kompetenzorientierte
Beratung an und kann bestenfalls
Fehlentwicklungen abfedern oder
sogar als mögliches Korrektiv wirken.
Blick auf das Gelingende statt auf das Scheitern
Verena Romer sagt: «Die Grundannahme
des lösungs- und kompetenzorientierten
Ansatzes besteht darin, aus einer
wertschätzenden Expertengrundhaltung
heraus die Menschen optimal in ihrer
Befindlichkeit abzuholen. Darin liegt das
grosse Potenzial in der Arbeit mit den
Jugendlichen. Den Fokus auf die funktionierenden
Dinge legen, Stärken, Fähigkeiten
und eigene Interessen herausstellen,
Ziele besprechen.» Verena Romer zeigt in
ihrer Arbeit auf, dass kompetente Beratungspersonen
als neutrale Bezugspersonen
punktuelle, aber stabile Beziehungen
aufbauen, anstehende oder unerledigte
Entwicklungsaufgaben lösen und die Herkunftsfamilie
oder das schulische Umfeld
entlasten können. «Durch den Fokus auf
die Lösung und nicht auf das Problemverhalten
wird einer Etikettierung und einer
daraus möglichen resultierenden Chronifizierung
vorgebeugt», fasst die Autorin die
Grundhaltung der lösungs- und kompetenzorientierten
Beratung zusammen.
Am Schluss der Arbeit stellt Verena Romer
eine interessante Frage. Sie überlegt,
wie unsere Gesellschaft sein müsste,
damit psychische Gesundheit zum Normalzustand
wird. Letztlich ist laut Romer
die Antwort eine Grundhaltung. Eine
Grundhaltung, die dem Gegenüber Wertschätzung
entgegenbringt, Menschen und
Selbstliebe und den Einzelnen in ein
tragendes Beziehungsnetz einbettet.