Eva Schümperli-Keller
Glamour – Glanz – Glücksspielsucht: Die Glitzerwelt der Casinos wird für manche Menschen zum Albtraum. Wenn das Spiel zur Sucht wird und die Finanzen immer mehr aus dem Lot geraten, kann eine Spielsperre helfen. Diese wird entweder von einem Casino angeordnet (etwa dann, wenn dieses weiss oder annimmt, dass ein Gast sich das Spiel nicht leisten kann) oder von der Spielerin oder dem Spieler zum Selbstschutz verlangt. Angeordnete und freiwillige Spielsperren gelten für alle Schweizer Casinos und sind unbegrenzt gültig. Ende 2015 waren schweizweit rund 46’000 Personen gesperrt; pro Jahr kommen etwa 3’200 hinzu. 70 Prozent lassen sich freiwillig sperren, bei 30 Prozent wird die Spielsperre angeordnet. Das Ziel der Sperre ist, Menschen mit problematischem Spielverhalten zumindest kurzfristig vom Glücksspiel abzuhalten und ihnen Zeit zu geben, ihre glücksspielspezifischen Probleme zu bearbeiten. «Ob dieses Ziel tatsächlich erreicht wird, war bis jetzt unklar, da eine umfassende Evaluierung der Spielsperre fehlte. Eine solche ist aber sehr wichtig, um die Spielsperre als Element des Spielerschutzes wirksam einzusetzen, sie gegebenenfalls weiterzuentwickeln und bei Bedarf um weitere Massnahmen zu ergänzen», sagt Suzanne Lischer, Dozentin und Projektleiterin am Departement Soziale Arbeit der Hochschule Luzern. Sie hat im Auftrag von Sucht Schweiz eine Studie zur Spielsperre erarbeitet. Darin untersuchte sie, welche Gründe der freiwilligen Sperre zugrunde liegen, wie das Spielverhalten gesperrter Spielerinnen und Spieler aussieht und wie die Sperre diese dabei unterstützt, ihr Verhalten zu ändern. Zudem ging Lischer den Gründen nach, aus denen Spielerinnen und Spieler die Sperre wieder aufheben lassen wollen – was unter gewissen Voraussetzungen möglich ist, jedoch in nur rund zehn Prozent aller Fälle und erst nach sorgfältigen Abklärungen gemacht wird.
Spielsperre heisst nicht Spielabstinenz
Gesperrte Spielerinnen und Spieler nennen ganz unterschiedliche Gründe für die Beantragung einer freiwilligen Spielsperre. «Zu viel Geld im Casino verloren», war die häufigste Antwort. Was als hoher Verlust wahrgenommen wird, hängt von der subjektiven Wahrnehmung und den finanziellen Verhältnissen ab; die Angaben variieren zwischen 50 Franken und 20’000 Franken. Genannt wurden auch «präventive Gründe», «zu viel Zeit im Casino verbracht», «keine Kontrolle über das Spielverhalten» und «auf Wunsch der Angehörigen». Weiter untersuchte Lischer in der Studie, wie das Spielverhalten der Gesperrten aussieht. Was schon länger vermutet worden war, ist nun gesicherte Erkenntnis: Die Spielsperre führt bei vielen Spielerinnen und Spielern nicht zur Abstinenz vom Glücksspiel. Sie weichen auf alternative Glücksspielangebote aus, etwa auf Casinos im grenznahen Ausland, wo die Schweizer Spielsperre nicht gilt. Auch Online-Glücksspiel und illegales Glücksspiel erfreuen sich grosser Beliebtheit. Trotzdem ist ein Lerneffekt durch die Spielsperre erkennbar, denn sowohl freiwillig als auch angeordnet gesperrte Spielerinnen und Spieler skizzieren ihr zukünftiges Spielverhalten moderater, wenn sie in den Aufhebungsgesprächen danach gefragt werden. Die Häufigkeit der Casino-Besuche und die vorgesehene Höhe der Einsätze pro Besuch sinken. Der Nutzen der Spielsperre liegt folglich nicht nur in der Zugangsbeschränkung zum Casino, sondern setzt auch einen Lernprozess in Gang und hat damit einen präventiven Effekt. Die Spielbanken haben mit der Sperre zudem ein Instrument in der Hand, um präventive Massnahmen wie das Einfordern eines Finanznachweises umzusetzen.
Der Spielerschutz braucht weitere Instrumente
Die Spielsperre sei sinnvoll, finden auch Giacomo Bellotto und Ruedi Studer vom Sozial-Beratungs-Zentrum Luzern. Sie beraten spielsüchtige Menschen und werden vom Grand Casino Luzern zu Gesprächen beigezogen, bei denen es um beantragte Aufhebungen von Sperren geht. Sie sind jedoch der Ansicht, dass weitere Massnahmen neben der Spielsperre Sinn machen würden, etwa Besuchsvereinbarungen, die derzeit nicht vorgesehen sind. «Wenn bei einer Person keine glücksspielspezifischen Probleme vorliegen – laut der Studie ist dies bei immerhin einem Drittel der freiwillig Gesperrten der Fall – wäre eine Besuchsvereinbarung, die die Häufigkeit der Besuche und die Höhe der Einsätze festlegt, als Massnahme besser geeignet. Spielsperren sind das Mittel der Wahl bei problematischem Spielverhalten», sind sich die beiden einig. Suzanne Lischer ist ebenfalls dieser Meinung: «Die Erkenntnisse aus der Studie legen nahe, individuelle Limitierungen der Casino-Besuche und der Spieleinsätze als zusätzliche Spielerschutzmassnahmen einzusetzen.»
Der von gesperrten Spielerinnen und Spielern meistgenannte Grund, die Sperre aufheben zu lassen, ist denn auch der Wunsch, das Casino wieder besuchen zu können. Viele geben an, sich dazu sozial oder gesellschaftlich verpflichtet zu fühlen, etwa anlässlich der Weihnachtsfeier mit der Firma. Auch der Wunsch nach Selbstbestimmung wird genannt. Lischer gibt zu bedenken: «Individuell zugeschnittene Besuchsvereinbarungen würden kontrolliertes Spielen in einem sicheren Umfeld ermöglichen. Driften die Gesperrten in den Bereich alternativer Glücksspielangebote ab, greift der Spielerschutz nicht mehr.»
«Ich stehe am Abgrund»
Interview: Eva Schümperli-Keller
Armin Müller* ist verheiratet, hat drei Kinder, ein Haus und ist in leitender Funktion tätig. Im Jahr 2000 auferlegte er sich selber eine Spielsperre, da er an Spielautomaten im Casino über 40’000 Franken verloren hatte. In den folgenden Jahren spielte er nicht. 2014 begann er in illegal betriebenen Spiellokalen zu pokern und verlor in zwei Jahren rund 100’000 Franken. Seit Herbst 2016 ist er Klient im Sozial-BeratungsZentrum Luzern und seit Frühling 2017 in Behandlung im Basler Zentrum für Verhaltenssüchte. Seine Ziele sind die völlige Abstinenz vom Glücksspiel und eine Schuldensanierung.
Herr Müller, hat das Instrument der Spielsperre bei Ihnen versagt?
So kann man das sicher nicht sagen. Bei den Spielautomaten hat die Spielsperre viel genützt. Ich war viele Jahre lang glücksspielabstinent. Weshalb ich 2014 mit dem Pokern begonnen habe, kann ich gar nicht sagen. Und da ich für die Casinos gesperrt bin, habe ich angefangen, in illegal betriebenen «Spielhöllen» zu spielen.
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie in relativ kurzer Zeit so viel Geld verspielt haben?
Bei den illegalen Pokerrunden wird um mehr Geld gespielt als in den Casinos. Es gibt keine Beschränkungen. Teilweise tragen die Spieler – es sind fast ausschliesslich Männer – bündelweise Tausendernoten in der Hosentasche mit sich herum. Zum Teil wird aber auch mit «Luftgeld» gespielt. Das heisst, der Betreiber eines illegalen Spiellokals lässt seine Bekannten mit dem Geld seines Lokals spielen. Sie können sich unbegrenzt aus der Bank bedienen, sind so immer liquide und können ewig weiterspielen, während die Spieler, die mit eigenem Geld spielen, das Nachsehen haben und «filetiert» werden, wie man in diesen Kreisen sagt. Man hat in diesem System kaum eine Chance zu gewinnen; meine Gewinnrate war ungefähr 1:20, das heisst: Jeden gewonnenen Franken habe ich zwanzigfach wieder verloren.
Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft?
Ich habe kürzlich reinen Tisch gemacht und meiner Frau alles erzählt. Das war eine grosse Befreiung. Das ewige Lügen und Vertuschen hatte ich satt. Ich hoffe, dass unsere Partnerschaft diese schwierige Zeit übersteht. Ich will meine Schulden zurückzahlen und finanziell wieder auf die Beine kommen. Nächstes Jahr steht die Erneuerung unserer Hypothek an; bis dann muss ich wieder kreditwürdig sein, sonst verlieren wir unser Haus. Ich stehe am Abgrund und bin froh, dass ich professionelle Hilfe in Anspruch genommen habe: Wenn man so tief in der Sucht steckt, geht es nicht mehr ohne.
* Pseudonym zum Schutz der Identität; Name der Redaktion bekannt.